Zelot
perfekter Mensch vielleicht, aber eben nur ein Mensch?
Nach Monaten hitziger Verhandlungen übergab das Konzil Konstantin das sogenannte Bekenntnis von Nicäa, in dem zum ersten Mal die offiziell anerkannten, orthodoxen Überzeugungen der christlichen Kirche umrissen wurden. Jesus sei «als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt», hieß es darin, «Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater».
Diejenigen, die mit dem Bekenntnis nicht einverstanden waren – darunter die Arianer, die glaubten, es habe eine Zeit gegeben, in der Jesus nicht existierte –, wurden umgehend aus dem Reich verbannt, ihre Lehren wurden gewaltsam unterdrückt.
Es mag verführerisch sein, das Bekenntnis von Nicäa als offenkundig politischen Versuch zu werten, die berechtigten Gegenmeinungen innerhalb der Kirche zum Schweigen zu bringen. Auf jeden Fall trifft es zu, dass die Entscheidung des Konzils zu einem mindestens tausendjährigen furchtbaren Blutvergießen im Namen der christlichen Orthodoxie führte. Die Wahrheit aber ist, dass die Mitglieder des Konzils lediglich eine Glaubenshaltung festschrieben, die bereits Mehrheitsmeinung war – nicht nur nach Ansicht der in Nicäa versammelten Bischöfe, sondern der gesamten Christenheit. Der Glaube an Jesus als Gott war dank der ungeheuren Popularität des Paulusbriefes schon Jahrhunderte vor dem Konzil fest in der Kirche verankert worden.
Nach der Zerstörung des Tempels, dem Niederbrennen der Heiligen Stadt und der Auflösung der Jerusalemer Urgemeinde erfuhr Paulus innerhalb der christlichen Gemeinde eine erstaunliche Rehabilitation. Mit der möglichen Ausnahme der Logienquelle Q (die jedoch ein hypothetischer Text ist) waren die Paulusbriefe die einzigen Schriften über Jesus, die im Jahre 70 n. Chr. existierten. Diese Briefe waren seit den fünfziger Jahren in Umlauf. Sie waren an die Diasporagemeinden gerichtet, die nach der Zerstörung Jerusalems als einzige christliche Gemeinden übrig geblieben waren. Ohne Anleitung durch die Urgemeinde war die Verbindung der Bewegung zum Judentum abgebrochen. Nun wurde Paulus zum wichtigsten Vehikel, Jesus Christus einer neuen Generation von Christen nahezubringen. Sogar die Evangelien wurden durch die Paulusbriefe deutlich geprägt. Bei Markus und Matthäus etwa kann man den Einfluss der paulinischen Theologie klar erkennen. Die Dominanz von Paulus’ Überzeugungen zeigt sich jedoch insbesondere im Lukas-Evangelium, das von einem ergebenen Anhänger Paulus’ verfasst wurde. Das Johannes-Evangelium wiederum ist kaum mehr als paulinische Theologie in Erzählform.
Paulus’ Vorstellung des Christentums mag vor 70 n. Chr. von der Kirche verurteilt worden sein, danach jedoch wurde seine Idee einer völlig neuen Religion von Konvertiten im gesamten römischen Imperium begeistert aufgenommen. Diese Religion war befreit von der Autorität eines nicht mehr existenten Tempels, nicht mehr belastet von einem längst irrelevanten Gesetz und abgekehrt von einem Judentum, das zur Außenseiterreligion geworden war.
Der Legende zufolge kam daher im Jahre 393 n. Chr. in der Stadt Hippo Regius im heutigen Algerien eine weitere Gruppe Bischöfe zu einem Konzil zusammen, um zu kanonisieren, was wir heute als Neues Testament kennen. Für diese christlichen Schriften wählten sie einen Brief des Jakobus, des Bruders und Nachfolgers Jesu, zwei Briefe von Petrus, des Hauptapostels und Ersten der Zwölf, drei Briefe von Johannes, des geliebten Jüngers und Säule der Kirche, und vierzehn Briefe von Paulus, des Abweichlers und Ausgestoßenen, der von den Führern in Jerusalem abgelehnt und verachtet worden war. Tatsächlich stammen mehr als die Hälfte der 27 Bücher, aus denen heute das Neue Testament besteht, entweder von Paulus selbst oder sie handeln von ihm.
Das sollte nicht weiter überraschen. Nach der Zerstörung Jerusalems war das Christentum eine fast ausschließlich nichtjüdische Religion; sie brauchte eine nichtjüdische Theologie. Und genau das bot Paulus. Die Wahl zwischen Jakobus’ Vision einer jüdischen, im Gesetz Mose verankerten und von einem gegen Rom kämpfenden jüdischen Nationalisten abgeleiteten Religion und Paulus’ Vorstellung von einer römischen Religion, die sich vom jüdischen Provinzialismus lossagte und zur Erlösung nichts außer dem festen Glauben an Jesus einforderte, war für die zweite und dritte Generation der Anhänger Jesu nicht weiter
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