Zelot
verspürte, die ausgesandt wurden, um seine Gemeinden zu infiltrieren – von einem Mann, den er verächtlich als einen der «Angesehenen» der Kirche abtut, als Mann, von dem ihm «nichts auferlegt» wurde –, sickert wie Gift durch die Seiten seiner späteren Briefe ( 2 Kor 11 , 13 ; Gal 2 , 6 ).
Paulus’ Versuche, seine Gemeinden zu überzeugen, nicht von ihm abzufallen, erwiesen sich jedoch am Ende als nutzlos. Es gab nie einen Zweifel daran, wem bei einem Disput zwischen einem ehemaligen Pharisäer und dem Fleisch und Blut des lebendigen Christus die Loyalität der Gemeinschaft gehörte. Ganz gleich, wie hellenistisch die Diasporajuden geworden sein mochten, so wankten sie doch nicht in ihrer Treue zur Urgemeinde in Jerusalem. Jakobus, Petrus, Johannes – sie waren die Säulen der Kirche. Sie waren die Hauptfiguren in allen Geschichten, die sich die Menschen über Jesus erzählten. Sie waren die Männer, die Jesus begleitet und mit ihm gesprochen hatten. Sie waren unter den Ersten gewesen, die ihn nach der Auferstehung von den Toten gesehen hatten; sie würden unter den Ersten sein, die ihn mit den Wolken des Himmels zurückkehren sahen. Die Autorität, die Jakobus und die Apostel zu ihren Lebzeiten über die Gemeinde genossen, war unumstößlich. Nicht einmal Paulus konnte ihr entrinnen, wie er im Jahre 57 n. Chr. feststellen musste, als ihn Jakobus zwang, seine Überzeugungen öffentlich zu widerrufen, indem er an einem Reinigungsritual im Jerusalemer Tempel teilnahm.
Wie bei seiner Schilderung der Zusammenkunft des Apostelkonzils einige Jahre zuvor, versucht Lukas auch diese letzte Begegnung von Jakobus und Paulus so darzustellen, als hätte es zwischen den beiden keinerlei Konflikte oder Animositäten gegeben. Dazu lässt er Paulus still gehorchen und das geforderte Tempelritual durchführen. Doch nicht einmal Lukas kann die offensichtliche Spannung in dieser Szene verbergen. Noch bevor Jakobus Paulus in den Tempel schickt, um der Jerusalemer Gemeinde zu beweisen, «dass auch du das Gesetz genau beachtest», zieht er in Lukas’ Schilderung eine scharfe Trennlinie zwischen allem, «was Gott durch seinen Dienst unter den Heiden getan hat» und «wie viele Tausende unter den Juden gläubig geworden sind, und sie alle sind
Eiferer
für das Gesetz» (Apg 21 , 19 – 20 ). Dann stellt er ihm «vier Männer, die ein Gelübde auf sich genommen haben», zur Seite und trägt Paulus auf: «Weihe dich zusammen mit ihnen; trag die Kosten für sie, damit sie sich das Haar abscheren lassen können. So wird jeder einsehen, dass an dem, was man von dir erzählt hat, nichts ist.» (Apg 21 , 23 – 24 )
Was Lukas in diesem Abschnitt beschreibt, wird als «Nasiräergelübde» bezeichnet ( 4 Mos 6 , 2 ). Nasiräer hielten sich strikt an das Gesetz Mose. Als Akt der Frömmigkeit oder als Gegenleistung für die Erfüllung eines Wunsches, etwa ein gesundes Kind oder eine sichere Reise, gelobten sie, eine bestimmte Zeitlang keinen Wein zu trinken, sich nicht zu rasieren oder keiner Leiche nahe zu kommen (Jakobus selbst könnte ein Nasiräer gewesen sein, da die Beschreibung derer, die das Gelübde ablegen, perfekt auf seine Beschreibungen in den alten Chroniken passt). In Anbetracht seiner Haltung gegenüber dem Gesetz Mose oder dem Tempel in Jerusalem muss die erzwungene Teilnahme an einem solchen Ritual extrem demütigend für Paulus gewesen sein. Der einzige Zweck des Rituals war, der Jerusalemer Gemeinde zu demonstrieren, dass er nicht länger an das glaubte, was er seit beinahe einem Jahrzehnt predigte. Seine Teilnahme an dem Nasiräerschwur lässt sich nicht anders deuten denn als feierliche Abkehr von seiner eigenen Lehre und die öffentliche Anerkennung von Jakobus’ Autorität – umso mehr ist Lukas’ Darstellung anzuzweifeln, in der sich Paulus kommentar- und klaglos dem Ritual unterzieht.
Interessanterweise könnte Lukas’ Schilderung nicht der einzige Bericht dieses wichtigen Wendepunktes sein. Eine auffallend ähnliche Geschichte findet sich in einer Sammlung von Schriften, die als
Pseudoklementinen
bekannt sind. Obwohl diese um etwa 300 n. Chr. zusammengestellt wurden (also fast ein Jahrhundert, bevor das Neue Testament offiziell kanonisiert wurde), enthalten sie zwei separate Überlieferungen, die wesentlich weiter zurückdatieren. Die erste sind die sogenannten
Homilien
, die wiederum zwei Briefe enthalten: einen des Apostels Petrus und einen von Klemens, dessen Nachfolger in Rom.
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