Zelot
Baubooms in Jerusalem und der Fertigstellung des Tempels kurz vor Herodes’ Tod fanden sich diese Tagelöhner plötzlich ohne Arbeit wieder. Sie wurden aus der Heiligen Stadt vertrieben und mussten sehen, wo sie blieben. Durch diese massenhafte Rückkehr aufs Land bildete sich dort wieder ein Nährboden für revolutionäre Aktivitäten, genau wie vor Herodes’ Königsherrschaft.
Etwa um diese Zeit entstand eine neue, sehr gefährliche Gruppe von Banditen in Galiläa, angeführt von einem charismatischen Lehrer und Revolutionär, den man nur als Judas den Galiläer kennt. Der Überlieferung nach war Judas der Sohn des berüchtigten Bandenführers Hiskia, des gescheiterten Messias, den Herodes 40 Jahre zuvor im Zuge seines Feldzugs gegen das Banditenunwesen auf dem Lande hatte festnehmen und köpfen lassen. Nach Herodes’ Tod schloss sich Judas der Galiläer mit einem rätselhaften Pharisäer namens Sadduk zusammen, um eine völlig neue Unabhängigkeitsbewegung zu gründen, die Josephus die «Vierte Philosophie» nennt, um sie von den anderen drei «Philosophien» oder «Schulen» der Pharisäer, Sadduzäer und Essener abzusetzen. Was die Angehörigen der Vierten Philosophie von den übrigen unterschied, war ihre unerschütterliche Hingabe an das Ziel, Israel von der Fremdherrschaft zu befreien, und ihr inbrünstiges Beharren darauf, dass sie keinem Herrn dienten als dem Einzigen Gott, und wenn es ihr Leben kosten sollte. Es gab einen scharf umrissenen Begriff für eine solche Haltung, einen Begriff, den alle frommen Juden unabhängig von ihrer politischen Einstellung sicher kannten und stolz für sich in Anspruch nahmen:
zelos
, der fromme Eifer.
Dieser Eifer umfasste die strenge Beachtung der Tora und der Gesetze, die Weigerung, irgendeinem fremden Herrn zu dienen – überhaupt einem irdischen Herrn zu dienen –, sowie eine kompromisslose Anerkennung der Herrschaft Gottes. Ein solcher Eifer für Gott bedeutete, dass man auf den leuchtenden Spuren der alten Propheten und Helden wandelte, jener Männer und Frauen, die keinen anderen neben Gott duldeten, die sich vor keinem König außer dem König der Welt beugten und die gnadenlos mit der Götzendienerei und allen, die Gottes Gesetz brachen, ins Gericht gingen. Das Land Israel war mit Hilfe dieses Glaubenseifers durchgesetzt worden, denn es waren die eifernden Gotteskrieger gewesen, die es von allen Fremden und Götzendienern gesäubert hatten, genau wie Gott es befahl: «Wer einer Gottheit außer Jahwe Schlachtopfer darbringt, an dem soll die Vernichtungsweihe vollstreckt werden.» ( 2 Mos 22 , 19 )
Viele Juden im Palästina des 1 . Jahrhunderts bemühten sich, ein von diesem Glaubenseifer geprägtes Leben zu führen, jeder und jede auf eigene Weise. Aber es gab einige, die notfalls auch vor extremen Gewaltakten nicht zurückschreckten, um ihre eifernden Ideale zu wahren, Gewaltakten nicht nur gegen die Römer und die nicht beschnittenen Massen, sondern auch gegen ihre jüdischen Glaubensbrüder, die sich Rom unterworfen hatten. Diese kompromisslosen Gläubigen wurden
Zeloten
, «Eiferer», genannt.
Sie sollten nicht mit der Partei der Zeloten gleichgesetzt werden, die 60 Jahre später nach dem Jüdischen Aufstand des Jahres 66 n. Chr. aufkam. Zu Lebzeiten Jesu war das Zelotentum keine feste Sekte oder politische Partei. Es war eine Idee, ein Anspruch, ein Frömmigkeitsmodell, das untrennbar mit der weitverbreiteten apokalyptischen Erwartung verbunden war, die die Juden in Folge der römischen Besatzung ergriffen hatte. Vor allem unter den Bauern und den frommen Armen herrschte das Gefühl, dass die gegenwärtige Ordnung ihrem Ende entgegengehe, dass sich bald eine neue und göttlich inspirierte Ordnung offenbaren werde. Das Reich Gottes war nahe. Alle sprachen darüber. Aber Gottes Herrschaft konnte nur von jenen herbeigeführt werden, die den Eifer besaßen, für sie zu kämpfen.
Solche Ideen hatte es schon gegeben, bevor Judas der Galiläer daherkam. Doch Judas war vielleicht der erste revolutionäre Führer, der Straßenräuberei und Zelotentum zu einer einzigen revolutionären Kraft verschmolz und den Widerstand gegen Rom zu einer religiösen Pflicht aller Juden machte. Judas’ erbitterte Entschlossenheit, alles zu tun, was nötig war, um die Juden von der Fremdherrschaft zu befreien und das Land im Namen des Gottes Israels zu säubern, machte die Vierte Philosophie zu einem Vorbild zelotischen Widerstands für die vielen apokalyptischen
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