Zelot
waren sie aus Steinen gebaut. Holzbalken trugen die Dächer, und sicher waren auch die Türen aus Holz. Eine Handvoll Nazoräer konnte sich vielleicht hölzerne Möbel leisten – einen Tisch, ein paar Schemel –, und ein paar besaßen womöglich Joche und Pflüge aus Holz, mit denen sie ihre kargen Äcker bestellten. Aber selbst wenn man
tekton
als einen Handwerker auffasst, der sich mit allen Aspekten des Bauens beschäftigt, hätten die etwa 100 verarmten Familien eines bescheidenen und völlig bedeutungslosen Dorfes wie Nazaret, die meist selbst nur knapp über dem Subsistenzniveau lebten, auf keinen Fall Jesu Familie ernähren können. Wie die meisten Handwerker und Tagelöhner mussten Jesus und seine Brüder sich ihre Arbeit in größeren Orten und Städten suchen. Glücklicherweise lag Nazaret nur einen Tagesmarsch von einer der größten und wohlhabendsten Städte in Galiläa entfernt – von der Hauptstadt Sepphoris.
Sepphoris war eine elegante urbane Metropole, so reich, wie Nazaret arm war. Während Nazaret nicht eine einzige gepflasterte Straße hatte, waren die Straßen in Sepphoris breite Avenuen, mit polierten Steinplatten ausgelegt und von zweistöckigen Häusern mit offenen Höfen und privaten, in den Fels geschnittenen Zisternen gesäumt. Die Nazoräer teilten sich ein einziges öffentliches Bad. In Sepphoris mündeten zwei separate Aquädukte im Stadtzentrum und lieferten mehr als genug Wasser für die großen, aufwendigen Bäder und die öffentlichen Latrinen, die praktisch allen etwa 40 000 Einwohnern zur Verfügung standen. Es gab römische Villen und palastartige Wohnbauten, manche waren mit farbenfrohen Mosaiken geschmückt, die hübsche nackte Mädchen auf der Vogeljagd zeigten, girlandenbehangene Frauen mit Körben voller Obst, kleine Jungen, die tanzten und Musikinstrumente spielten. Ein römisches Theater im Zentrum der Stadt fasste 4500 Zuschauer, und ein engmaschiges Netz von Straßen und Handelsrouten verband Sepphoris mit Judäa und den Kleinstädten Galiläas. Die Stadt war ein wichtiger kultureller und wirtschaftlicher Knotenpunkt.
Sepphoris war zwar eine überwiegend jüdische Stadt, wie die Synagogen und rituellen Badehäuser zeigen, die man dort ausgegraben hat, aber dort lebte eine ganz andere Schicht von Juden als an vielen anderen Orten in Galiläa. Reich, kosmopolitisch, stark von der griechischen Kultur beeinflusst und inmitten einer bunten Mischung von Völkern und Religionen, waren die Juden von Sepphoris das Produkt der gesellschaftlichen Revolution des Herodes – sie waren die Neureichen, die nach Herodes’ Massaker an der alten Priesteraristokratie deren Positionen eingenommen hatten. Die Stadt selbst spielte schon lange eine wichtige Rolle; nach Jerusalem ist sie der in der rabbinischen Literatur am häufigsten genannte Ort. Sepphoris war unter den Hasmonäern das Verwaltungszentrum Galiläas gewesen. Unter Herodes dem Großen wurde die Stadt zu einem wichtigen militärischen Vorposten, wo Waffen und Kriegsvorräte lagerten. Doch erst als sein Sohn Antipas («der Fuchs») sie wohl irgendwann um die Wende zum 1 . Jh. n. Chr. zum königlichen Sitz seiner Tetrarchie machte, wurde das zuvor militärisch geprägte Sepphoris in ganz Palästina als «das Schmuckstück Galiläas» bekannt. Wie sein Vater hegte auch Antipas eine Leidenschaft für groß angelegte Bauprojekte, und Sepphoris war ein unbeschriebenes Blatt, auf dem er eine Stadt nach seinen eigenen Vorstellungen entwerfen konnte, denn als er mit einer Kohorte römischer Soldaten im Schlepptau dort einmarschierte, war die Stadt nicht mehr der Mittelpunkt Galiläas wie unter der Herrschaft seines Vaters. Sie war nur noch ein noch glimmender Haufen aus Asche und Stein, ein Opfer der römischen Vergeltung für die Rebellion nach dem Tod Herodes’ des Großen im Jahr 4 v. Chr.
Herodes ließ bei seinem Tod weit mehr zurück als eine vor Wut schäumende Bevölkerung, die darauf brannte, sich an seinen Freunden und Verbündeten zu rächen. Er hinterließ auch einen Mob arbeitsloser Armer, die aus den Dörfern nach Jerusalem geströmt waren, um seine Paläste und Theater zu bauen. Herodes’ monumentale Bauorgie und vor allem seine Tempelerweiterung hatten zehntausenden Bauern und Tagelöhnern Lohn und Brot gegeben, von denen viele durch Dürren und Hungersnöte oder oft genug auch durch die grausame Beharrlichkeit des Schuldeneintreibers von ihrem Land vertrieben worden waren. Doch mit dem Ende des
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