Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
Vom Netzwerk:
erwartete, aber er war kein Soldat wie sein Vater; er war ein Verwalter, der lieber mit Rechnungen und Listen hantierte als mit Schwertern und Speeren. Und doch war Pilatus kein weniger harter Mann. Die Quellen beschreiben ihn als grausam, kaltherzig und streng: ein stolzer, herrischer Römer mit wenig Respekt vor den Empfindlichkeiten unterworfener Völker.
    Pilatus’ Geringschätzung für die Juden war vom Tag seiner Ankunft in Jerusalem an offensichtlich. Der neue Statthalter in seiner weißen Tunika und dem goldenen Brustharnisch, den roten Mantel über die Schulter drapiert, machte seine Anwesenheit in der Heiligen Stadt bekannt, indem er mit einer Legion römischer Soldaten, die Standarten mit dem Bild des Kaisers trugen, durch Jerusalems Haupttor zog – ein pompöses Schauspiel der Missachtung der jüdischen Gefühle. Später brachte er einen Satz vergoldeter römischer Schilde, die dem Tiberius, dem «Sohn des göttlichen Augustus», geweiht waren, im Tempel von Jerusalem an. Die Schilde waren eine Opfergabe für die römischen Götter, ihre Präsenz im jüdischen Tempel ein bewusster Akt der Blasphemie. Als seine Ingenieure ihm erklärten, dass Jerusalem seine altersschwachen Aquädukte erneuern müsse, nahm Pilatus das Geld für dieses Projekt einfach aus dem Tempelschatz. Gegen die Proteste der Juden entsandte Pilatus seine Soldaten, die sie auf den Straßen niedermachten.
    Die Evangelien schildern Pilatus als einen rechtschaffenen, aber willensschwachen Menschen, der so sehr daran zweifelt, ob es richtig ist, Jesus von Nazaret zu töten, dass er alles in seiner Macht Stehende tut, um dessen Leben zu retten, und schließlich seine Hände in Unschuld wäscht, als die Juden Jesu Blut fordern. Das ist reine Fiktion. Bekannt war Pilatus vor allem wegen seiner extremen Brutalität, seiner vollkommenen Gleichgültigkeit gegenüber dem jüdischen Gesetz und der Tradition und seiner kaum verhüllten Abneigung gegen die jüdische Nation. Während seiner Amtszeit in Jerusalem schickte er Tausende und Abertausende Juden so bereitwillig und ohne jeden Prozess ans Kreuz, dass die Einwohner von Jerusalem sich genötigt sahen, eine offizielle Beschwerde beim römischen Kaiser einzureichen.
    Trotz oder vielleicht auch wegen seiner kalten, harten Grausamkeit gegenüber den Juden wurde Pontius Pilatus zu einem der am längsten dienenden römischen Statthalter in Judäa. Es war ein gefährlicher und explosiver Job. Die wichtigste Aufgabe des Statthalters bestand darin, den ununterbrochenen Fluss der Steuereinkünfte nach Rom sicherzustellen. Dazu aber musste er eine funktionale, wenn auch fragile Beziehung zum Hohepriester aufrechterhalten; der Statthalter verwaltete die zivilen und wirtschaftlichen Angelegenheiten Judäas, der Hohepriester betreute den jüdischen Kult. Die schwierige Beziehung zwischen den beiden Ämtern führte dazu, dass kein römischer Statthalter oder jüdischer Hohepriester sehr lange amtierte, vor allem in jenen ersten paar Jahrzehnten nach Herodes’ Tod nicht. Die fünf Statthalter vor Pilatus blieben jeweils nur ein paar Jahre, mit der einzigen Ausnahme von Pilatus’ direktem Vorgänger Valerius Gratus. Doch wo Gratus in seiner Zeit als Statthalter fünf verschiedene Hohepriester ernannte und wieder entließ, musste Pilatus sich in seiner zehnjährigen Amtszeit in Jerusalem mit nur einem Hohepriester auseinandersetzen: mit Josef Kajaphas.
    Wie die meisten Hohepriester war Kajaphas ein überaus reicher Mann, wobei sein Reichtum vielleicht eher von der Seite seiner Ehefrau stammte, die die Tochter des früheren Hohepriesters Hannas war. Kajaphas war wohl nicht wegen eigener Verdienste zum Hohepriester ernannt worden, sondern durch den Einfluss seines Schwiegervaters, der es aufgrund seiner Beziehungen schaffte, fünf seiner eigenen Söhne in diese Position zu hieven, und auch während Kajaphas’ Amtszeit als graue Eminenz die Fäden in der Hand behielt. Laut Johannes-Evangelium wurde Jesus, nachdem er in Getsemani gefangen genommen worden war, zunächst zur Befragung zu Hannas gebracht, bevor man ihn vor Kajaphas schleppte, der dann das Urteil sprach (Joh  18 , 13 ).
    Gratus hatte Kajaphas im Jahr 18  n. Chr. zum Hohepriester ernannt, was bedeutet, dass er dieses Amt schon acht Jahre innehatte, als Pilatus nach Jerusalem kam. Kajaphas konnte die Position des Hohepriesters auch deshalb bisher nie dagewesene 18  Jahre lang behaupten, weil er letztendlich eine enge Beziehung zu Pontius Pilatus

Weitere Kostenlose Bücher