Zelot
Aber auch dies wäre für die frühchristliche Gemeinschaft problematisch gewesen, denn wenn es eine Sache gibt, in der alle vier Evangelien übereinstimmen, wenn es um Johannes den Täufer geht, so ist es die Nachricht, dass Jesus von Nazaret etwa in seinem 30 . Lebensjahr aus unbekannten Gründen sein winziges Dorf Nazaret in Galiläa, sein Heim, seine Familie und seine Verpflichtungen hinter sich ließ und nach Judäa zog, um sich von Johannes im Jordan taufen zu lassen. Ja, das Leben des historischen Jesus beginnt nicht mit seiner wundersamen Geburt oder seiner im Dunkel liegenden Jugend, sondern in dem Moment, in dem er zum ersten Mal Johannes dem Täufer begegnet.
Das Problem für die frühen Christen bestand darin, dass jede Akzeptanz der grundlegenden Fakten der Interaktion zwischen Johannes und Jesus das stillschweigende Zugeständnis beinhaltete, dass Johannes zumindest anfangs den höheren Rang innehatte. Wenn Johannes’ Taufe wirklich auf die Sündenvergebung ausgerichtet war, wie Markus behauptet, dann zeugte Jesu Taufe davon, dass er durch Johannes erst einmal von seinen Sünden gereinigt werden musste. Wenn Johannes’ Taufe aber ein Initiationsritus war, wie Josephus andeutet, dann wurde Jesus ganz offenkundig als ein Jünger unter vielen in Johannes’ Bewegung aufgenommen. Genauso sahen es auch Anhänger des Johannes, die sich, lange nachdem beide Männer hingerichtet worden waren, nicht von der Jesus-Bewegung vereinnahmen lassen wollten, weil ihrer Ansicht nach ihr Meister Johannes größer war als Jesus. Wer hatte denn schließlich wen getauft?
Die historische Bedeutung Johannes’ des Täufers und seine Rolle zu Beginn von Jesu Wirken stellten die Verfasser der Evangelien vor ein schwieriges Dilemma. Johannes war ein beliebter, angesehener und fast überall anerkannter Priester und Prophet gewesen. Man konnte ihn einfach nicht ignorieren, und dass er Jesus getauft hatte, war zu gut bekannt, um verschwiegen zu werden. Die Geschichte musste erzählt werden. Aber sie musste auch ein bisschen geknetet und zurechtgebogen werden. Man musste die Rollen der beiden Männer umkehren: Jesus musste erhöht, Johannes untergeordnet werden. So erklärt sich, dass die Figur des Johannes vom ersten Evangelium, dem Markus-Evangelium – wo er als ein Prophet und als Mentor Jesu dargestellt wird –, bis zum letzten Evangelium, dem Johannes-Evangelium, in dem der Täufer einzig und allein dem Zweck zu dienen scheint, Jesu Göttlichkeit anzuerkennen, immer tiefer in den Schatten tritt.
Bei Markus ist Johannes der Täufer eine völlig unabhängige Gestalt, die Jesus als einen der vielen tauft, die zu ihm kommen, um Buße zu tun. «Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen. … In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen» (Mk 1 , 5 ; 9 ). Bei Markus räumt der Täufer zwar ein, dass er selbst nicht der verheißene Messias ist – «Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren» (Mk 1 , 7 – 8 ) –, doch seltsamerweise sagt Johannes nie ausdrücklich, dass damit Jesus gemeint ist. Selbst als sich nach Jesu routinemäßiger Taufe der Himmel öffnet und der Geist Gottes in Form einer Taube auf ihn herabkommt, während eine Stimme aus dem Himmel spricht: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden», nimmt Johannes diesen göttlichen Zwischenruf gar nicht wahr, geschweige denn, dass er ihn kommentiert. Für Johannes ist Jesus einfach ein weiterer Bittsteller, ein weiterer Sohn Abrahams, der an den Jordan reist, um in den erneuerten Stamm Israel aufgenommen zu werden. Er geht einfach weiter zum nächsten Menschen, der darauf wartet, getauft zu werden.
Matthäus, der etwa zwei Jahrzehnte später schreibt, übernimmt die Geschichte von Jesu Taufe fast wortwörtlich von Markus, aber er ergänzt wenigstens eine ganz eklatante Auslassung seines Vorgängers: Sofort, als Jesus am Jordanufer ankommt, erkennt Johannes ihn als den, «der nach mir kommt». «Ich taufe euch nur mit Wasser», sagt der Täufer. «Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.» Bei Matthäus weigert sich Johannes zunächst, Jesus zu taufen, und deutet an, dass er es ist, der von Jesus getauft werden sollte. Erst nachdem Jesus ihm die Erlaubnis gegeben hat, wagt Johannes den Bauern aus Nazaret
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