Zelot
Unfrommen, jene, die sich nicht anständig an das Gesetz hielten, vor allem dann nicht, wenn es um die obligatorischen Zehnten und Opfer für den Tempel ging. Die Literatur der Zeit ist voll von judäischen Klagen über die Laxheit der Galiläer, wenn es um die pünktliche Bezahlung ihrer Tempelabgaben ging, während andererseits eine ganze Gruppe apokrypher Schriften wie etwa das
Levi-Dokument
und das
Henoch-Korpus
eine ausdrücklich galiläische Kritik am aufwendigen Lebensstil der judäischen Priesterschaft, ihrer Ausbeutung der Bauern und ihrer schändlichen Kollaboration mit Rom widerspiegelt.
Ganz zweifellos fühlten die Galiläer eine sinnstiftende Verbindung zum Tempel als der Wohnstatt des Geistes Gottes, aber sie bekundeten auch eine tiefe Verachtung für die Tempelpriester, die sich für die alleinigen Vermittler des göttlichen Willens hielten. Es gibt Hinweise darauf, dass die Galiläer die Tempelrituale nicht nur weniger streng befolgten, sondern auch in Anbetracht der drei Tagesreisen zwischen Galiläa und Jerusalem weniger geneigt waren, den Tempel häufig zu besuchen. Jene galiläischen Bauern, die mit großer Mühe genug Geld aufbrachten, um zu den heiligen Festen nach Jerusalem zu reisen, mussten ihr karges Opfer dann demütig den reichen Tempelpriestern übergeben, von denen einige womöglich gerade jene Ländereien besaßen, auf denen diese Bauern ihr karges Dasein fristeten.
Die Kluft zwischen Judäa und Galiläa wuchs, nachdem Rom Galiläa direkt der Herrschaft von Antipas, dem Sohn Herodes’ des Großen, unterstellt hatte. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatten die Galiläer einen Herrscher, der tatsächlich in Galiläa residierte. Antipas’ Tetrarchie verwandelte die Provinz in ein eigenes politisches Gebilde, das nicht mehr der direkten Befehlsgewalt des Tempels und der Priesteraristokratie in Jerusalem unterstand. Die Galiläer schuldeten dem habgierigen Tempel noch immer ihren Zehnten, und Rom übte weiterhin Kontrolle über alle Aspekte des Lebens in Galiläa aus: Rom hatte Antipas eingesetzt, und Rom steuerte ihn. Doch Antipas’ Herrschaft bedeutete auch ein kleines, aber bedeutsames Stück galiläische Autonomie. Seine eigenen Soldaten hatten die römischen Legionen in der Provinz ersetzt. Und Antipas war wenigstens ein Jude, der, meistens jedenfalls, versuchte, die religiösen Gefühle seiner Untertanen nicht zu verletzen – trotz seiner Ehe mit der Frau seines Bruders und der Hinrichtung Johannes’ des Täufers.
Von etwa 10 n. Chr. an, als Antipas Sepphoris zu seiner Hauptstadt machte, bis 36 n. Chr., als Kaiser Caligula ihn absetzte und ins Exil schickte, genossen die Galiläer eine Phase des Friedens und der Ruhe – sicherlich eine willkommene Erholung vom vorausgehenden Jahrzehnt der Rebellion und des Krieges. Doch der Frieden war ein Trick; die Einstellung der Feindseligkeiten sollte von der schleichenden Verwandlung Galiläas ablenken. Im Laufe dieser 20 Jahre baute Antipas nämlich zwei neue griechische Städte – seiner ersten Hauptstadt Sepphoris folgte eine zweite, Tiberias, am Ufer des See Gennesaret –, die die traditionelle galiläische Gesellschaft total auf den Kopf stellten.
Es waren die ersten richtigen Städte, die Galiläa je gesehen hatte, und sie waren fast nur von Nichtgaliläern bevölkert: römische Kaufleute, Griechisch sprechende Heiden, wohlhabende judäische Siedler. Die neuen Städte setzten die Wirtschaft der Region unter einen enormen Druck, sie teilten die Provinz im Wesentlichen in jene mit Geld und Macht und jene, die ihnen dienten, indem sie die Arbeitskraft zur Verfügung stellten, die notwendig war, um ihren aufwendigen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Dörfer, in denen Subsistenzwirtschaft als Bauer oder Fischer die Norm war, wurden allmählich durch die Bedürfnisse der Städte überformt, während sich Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion allein auf die Ernährung der neuen kosmopolitischen Bevölkerung konzentrierten. Die Steuern stiegen, die Landpreise verdoppelten sich, die Schulden wuchsen in ungeahnte Höhen, sodass das traditionelle Leben in Galiläa langsam zerfiel.
Als Jesus geboren wurde, stand Galiläa in Flammen. Sein erstes Lebensjahrzehnt ging einher mit der Plünderung und Zerstörung des ländlichen Galiläa, sein zweites mit dessen Umgestaltung durch Antipas. Als Jesus zu Johannes dem Täufer nach Judäa ging, hatte Antipas Sepphoris schon zugunsten seines noch größeren und schöneren
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