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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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sofort das alte Häuschen auf dem Land verlassen, wo sie aufgewachsen war, und hatte bei einem Krawattenmacher zu arbeiten begonnen, wie fast alle Frauen im Ort.
    Sie setzte ihre abgebrochene Schullaufbahn fort und erwarb die Mittlere Reife in einer Abendschule.
    Sie versteckte sich nicht mehr unter Betten, sprach aber weiterhin mit sich selbst und begegnete ihren Vorfahren, die sie nachts besuchen kamen und ihr tagsüber in Gestalt von Zeichen erschienen: einer Dampfwolke, einem fernen Donner oder der Spur eines Flugzeugs am Himmel.
    Am Arbeitsplatz mied sie Vertraulichkeiten, pflegte nur wenige ausgewählte Freundschaften wie die mit Anna und Teresa, zwei Frauen, die etwas jünger waren als sie. Anna war klein und dunkel, seit vielen Jahren verheiratet mit einem Mann, der oft längere Zeit nicht zu Hause war, weil er auf Kreuzfahrtschiffen arbeitete; Teresa dagegen war korpulent, hatte lockiges Haar, und ihr Privatleben war ein Geheimnis.
    Mimi kam auch außerhalb der Krawattenfabrik mit den beiden zusammen, sonntagnachmittags versammelten sie sich zu dritt um eine Espressomaschine: ihrer speziellen Espressokanne, die sie bei ihren Treffen für eine Zeremonie mit genau festgelegten Zutaten und Zeiten benutzten. Ein Beutel Bohnen der Marke Quarta, eine elektrische Mühle und dann die Abfolge der drei Kaffees.
    Zuerst wurde ein leichter Kaffee mit wenig Pulver gemacht, um die Espressokanne vorzubereiten, dann ein zweiter, der kaum probiert wurde, und zuletzt füllten sie den Filter für den dritten Kaffee, den guten. Nach diesem dritten tat Teresa so, als würde sie Mimis Hausaufgaben korrigieren.
    »Diese Übungen sind zu schwer für die Mittelschule.«
    Mimi wusste, dass das nicht stimmte, aber es tröstete sie, sie fühlte sich beschützt in dieser Höhle aus Zuneigung und Kaffee an den Sonntagnachmittagen in Lucugnano, wenn sie sich mit den Aromen von
puccia
-Brot, Oregano und gerösteten Tomaten füllten, den Düften der Seelenruhe.
    Nach den Unterrichtsstunden wartete sie, bis ihre Schulkameraden hinausgingen, und blieb als Letzte im Klassenzimmer zurück. Die Klassenkameraden waren Männer, die auf dem Land aufgewachsen waren, oder Albaner, schweigsame Menschen, die stotterten, wenn sie im Dialekt oder mit fremdem Akzent vorlasen, der ihnen die Silben und den Mund zusammenpresste, als müssten sie ein Blasinstrument spielen. Wenn alle verschwunden waren, auch die Lehrer und das Personal, blieb Mimi allein zurück, und wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie sich in der Schule einschließen lassen, um die Einsamkeit auszukosten; eines Abends tat sie es, versteckte sich unter einem Pult, kauerte sich zusammen und machte sich klein wie ein Kind, wie das kleine Mädchen, das vor einem Jahrzehnt unter ein Bettgestell geschlüpft war, um nicht in die Schule gehen zu müssen, und jetzt tat sie es, um zu bleiben. Doch dann verflog die Sehnsucht nach früher, und sie ließ den Wunsch zurückkehren, zu Hause bei ihrer Tochter zu sein.
    In der Fabrik blieb sie manchmal bis zu zwölf Stunden am Tag, und sie nahm sich die Krawatten mit nach Hause, wo sie weiterarbeitete, die kleine Arianna auf dem Schoß. Wenn niemand das Kind zu sich nehmen oder hüten konnte, nahm sie Arianna mit zur Arbeit und ließ sie mit den Bändern der Stoffmuster spielen.
    Durch ihr einzelgängerisches Wesen erwarb sie sich einen gewissen Ruf: eine, die viel arbeitete und wenig redete. Schon bald machte man sie zur Vorarbeiterin, und wenn es Überstunden gab oder schwierige Aufträge, beklagte sie sich nicht, sie atmete tiefer durch als sonst, nahm die Arbeit in Angriff und dachte: »Eine Stunde früher aufstehen und einen Kaffee weniger mit Anna und Teresa.«
    »Du arbeitest zu viel«, sagte die Mutter oft. Meist ermahnte Rosanna sie knapp und direkt, manchmal aber probierte sie verschlungenere Wege, Kniffe, die wirkungsvoller sein sollten.
    »Heute Nachmittag musste ich
sirta
, deinen Vater, zur Kontrolluntersuchung bringen …«, in diesem Satz Rosannas lag eine liebevolle Erpressung. Wenn du arbeitest, bin ich, deine Mutter, gezwungen, Arianna mit Biagino alleinzulassen.
    Aber Mimi hatte ihren eigenen geheimen Plan. Biagino würde ihr zu Hause nützlich sein. Auch wenn er ein Säufer war, auch wenn er verdorben war, er war ein Ex-Kind mit den Weihen der Unschuld und Großzügigkeit. Er war einer, der trank, um den Dingen auf den Grund zu gehen, nicht um sie zu vergessen.
    Arianna wuchs heran und brauchte immer weniger Aufsicht. Biagino,

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