Zementfasern - Roman
ihn sich auf den Rücken und trug ihn zum Auto, das mit geöffneter Tür und brennenden Scheinwerfern in der großen Kurve von Villaggio Paradiso wartete.
Die mythologische Erzählung von Aeneas, der seinen Vater Anchises auf dieselbe Weise, wie er jetzt seinen Sohn zum Auto trug, aus dem brennenden Troja getragen hatte, kannte Antonio nicht. Doch wenn er sie gekannt hätte, hätte er bitter belächelt, dass sein Leben so wunderlich verlaufen war.
Antonio Orlando spürte, wie die Anstrengung ihm den Atem nahm. Während er die Stufen aus Betonblöcken hinaufstieg, die zur Schnellstraße führten, empfand er Biaginos Gewicht als leicht, doch beschwerlich war ihm der Herzschlag in der Brust seines Sohnes, und mit dessen keuchendem Alkoholatem legten sich die Jahre in der Ternitti wieder drückend auf Antonio. Als er beim Auto ankam, warf Biagino sich auf den Asphalt und begann zu schwimmen. Er wollte leben, das Kind wollte durchhalten.
Celestino war auch der bekannteste Anhalter der Gegend. Jeder hatte ihn schon mindestens einmal in sein Auto geladen, nach Schnäpsen und Schweiß stinkend, aber harmlos wie eine Straßenkatze.
Mama Rosanna und Papa Antonio behielten ihn bei sich zu Hause, sie waren in den letzten fünfzehn Jahren auch dank der Heldentaten dieses verwilderten Sohnes gealtert. Antonio hatte alle Haare verloren, sein Gesicht war eingefallen. Seine Stimme war ein dünnes Gepiepe geworden, die Stimmbänder zerschlissen. Die Jahre in der Ternitti machten sich bemerkbar, sie schliffen Antonios Stimme und Gestalt ab, nach und nach schrumpfte er in seinen Kleidern, verschwand hinter den Werkzeugen auf den Feldern, wo er immer seltener arbeitete. Diese zwei Jahre, nur zwei Jahre Ternitti hatten ihn ganz und gar aufgefressen.
Einen Tisch, einen Satz Karten und eine Korbflasche Wein, mehr brauchte man in den kleinen Orten nicht.
Irgendeinen Wein, irgendeinen Tisch, das war egal, aber die neapolitanischen Karten mussten in Ordnung sein, sauber, ohne Knicke und Flecken, an denen man sie hätte erkennen können. Gespielt wurde auf freien Plätzen in den Gassen des Ortskerns.
In Andrano gab es alte Männer, Fischer, die sich, sobald sie eine verlassene Garage sahen, mit Stühlen, Karten und ein wenig Wein darin einschlossen, um eine Runde zu spielen.
Das Spiel ähnelte dem Briscola: ein Mannschaftsspiel, vier Spieler, zwei Flaschen Wein. Zweck des Spiels war, weniger kühne Spieler und die, die weniger vertrugen, betrunken zu machen, während erprobte Trinker gedemütigt und auf dem Trockenen sitzen gelassen wurden.
Celestino war der perfekte Spieler in der zweiten Kategorie. Das ideale Opfer. Einer, den man wie den Esel hinter der Karotte herlaufen lassen konnte.
Wer die Karte mit dem König der Münzen zog, durfte der Herrscher, der Padrone sein, wer den Buben hatte, wurde der Kuppler, der die Karten ausgab und den Wein einschenkte, und die Dame war der »Sotto«, der Unterlegene, der die Launen des Padrone ertragen musste.
Trinken oder nicht trinken.
Jede Runde, jede Verleihung des Herrschaftstitels wurde von feierlichen Erklärungen begleitet, rituellen Formeln, die an die Anredeformen zwischen Adeligen und reichen Bürgerlichen erinnerten.
»Celestino, spielst du eine Runde Padrone und Sotto?«
Und getrieben von seiner Sucht machte Celestino seinen kleinen Einsatz, in der Hoffnung auf ein paar Runden Wein. Aber immer fiel ihm die Rolle des Sotto zu, der nicht trinken darf, und manchmal verhöhnte ihn das Schicksal mit der Karte des Kupplers, der das Maß Wein festlegt und den leer ausgehen lässt, der dem Alkohol nicht widerstehen kann.
Die wildesten Spiele wurden an den Abenden vor Weihnachten oder Ostern gespielt, wenn der Pfarrer Don Oronzo einem von ihnen befahl, auf die Schalttafel für das Geläut aufzupassen und die Glocken zu den festgesetzten Zeiten läuten zu lassen.
Der Verantwortliche für das Geläut wurde beim Padrone und Sotto unvermeidlich zur Zielscheibe und erhielt nach jeder Runde pünktlich sein randvoll gefülltes Glas. Wenn es Celestino zufiel, die Schaltknöpfe der Glocken zu überwachen, wurde Padrone und Sotto mörderisch, denn statt mit Wein spielte man mit Biancosarti, einem süßlichen Likör, dickflüssig wie Sirup, der nur mit Eis runterging, wie die Reklame empfahl, und auch den stärksten Alkoholiker betrunken machte.
Wenn die Glocken wie verrückt durch den Ort schallten, war das Celestino, der seinen Rausch verkündete.
Als sie volljährig geworden war, hatte Mimi
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