Zementfasern - Roman
Haare zu einem pechschwarzen Schwanz gebunden, der glänzte wie frisch mit Lack überzogen.
Mimis Panda fuhr die Serpentinen nach Ruffano hinauf. Biagino, der neben ihr saß, anscheinend nüchtern oder nur mit ein paar Giacomo Danieles im Blut, erzählte dem auf der Rückbank zusammengepferchten Trio – Arianna, Federico und Paolo –, wie er einmal per Anhalter nach Mailand gefahren war, zu einem Konzert.
An das Konzert erinnerte er sich nicht, aber an die Menschenmenge, die runden Lichter in langen Reihen an den rechteckigen Pavillons, den ohrenbetäubenden Aufschrei der Menschen, als die weiße Silhouette des Sängers erschien, ja, es war keine Gruppe, es war ein Sänger, Bruce Springsteen oder Vasco Rossi vielleicht, er erinnerte sich einfach nicht mehr, aber er kannte alle Lieder, die Menge um ihn herum weinte und schrie, bei den langsamen Stücken wurden die Leute ernst und still, die Lichter erloschen, die zitternden Flämmchen von Feuerzeugen oder Streichhölzern erhoben sich, und da musste er weinen. Ja, es war ein Konzert von Vasco Rossi, Bruce Springsteen konnte es nicht sein, denn Biagino verstand kein Englisch. Er hörte die Leute in seiner Nähe den Text mitsprechen, füllte seine Brust mit Luft und schrie: »Co-ca Co-la, con tutte quelle bollicine.«
»Nimmst du mich mit zu einem Konzert, Onkel Biagino?«
»Wenn deine Mutter einverstanden ist, ja, wenn nicht, warte bis du achtzehn bist, dann kannst du machen, was du willst.«
Aber Mimi mischte sich mit mildem Sarkasmus ein.
»Hör zu, Biaggì, kannst sie von mir aus morgen mitnehmen, die Kleine, wohin du willst, musst sie mir nur heil und ganz zurückbringen, denn bei dir weiß man nie.«
Der Panda wühlte sich in das Ziegelmehl eines verlassenen Spielfelds, das aus gegebenem Anlass zum Parkplatz umfunktioniert war. Dutzende Autos funkelten unter der mit den Sternen des August aufgeputzten Himmelskuppel. Die Lichter des Festes leuchteten aus der Ferne wie der Widerschein eines elektrischen Polarlichts, sie hoben das hervor, was hell war, und am hellsten war der Umriss von Mimis gelbem Kleid. Sie hielt beim Gehen den Blick auf den Boden gerichtet, gab acht, wohin sie trat. Und hinter ihr, wie hinter einer großen Glucke, im Gänsemarsch Federico und Arianna, deren Finger sich streiften, Paolo mit weißen Hosen, viel zu weiten, so dass er sie mit den Händen festhalten musste, und zuletzt Biagino, der schon zu den Buden spähte, auf der Suche nach der richtigen, an der er seine Via Crucis beginnen konnte.
Das Quintett geriet in den Menschenstrom, der versuchte, auf die Piazza im Zentrum zu gelangen. Dort oben auf dem Hügel stieg schon der Rauch der Spießbraten auf, mischten sich Klänge einer Musik mit bunten Lichtern.
Für den Fall, dass man einander aus den Augen verlieren sollte, hatten sie verabredet, sich um fünf Uhr vor der Kirche wiederzutreffen, wenn die Messe zu Ehren des heiligen Rochus begann.
Als hätten sie nur darauf gewartet, verschwanden Arianna und Federico sofort in der Menge, nachdem sie einen verstohlenen Blick gewechselt hatten. Paolo sah ihnen nach und fühlte sich äußerst unbehaglich, er hätte im Erdboden versinken mögen oder nach Zürich, in seine Heimat, zurückkehren. Um nicht unter der Menge begraben zu werden, ging er mit erhobenen Ellenbogen voran, er war einsam in der Masse, und eine unbekannte starke Kraft zog ihn zum Gipfel des Hügels, wo die mit Lichterketten, Leuchtgirlanden an Spalieren und illuminierten Fassaden geschmückte Piazza lag. Federico blickte sich ein paar Mal um, ob Paolo noch hinter ihnen war, während die große Menschenschlange träge vorankroch und stockte, wenn die Straße eine Kurve machte oder sich viele Leute um die Buden drängten.
»Sollen wir auf Paolo warten?«, schlug Arianna vor, doch es war eine verlegene Frage.
Federico antwortete nur mit einem bekümmerten, im Grunde aber zustimmenden Blick. Ja, auf Paolo ja, aber nur auf ihn. Er hätte sie gerne geküsst, er hätte seine Lippen gerne lange auf ihre Lippen gedrückt. Er hätte gewollt, dass der ganze Ort es sah, außer Mimi und Celestino, vor den beiden überkam ihn eine Verschämtheit, die ihm unerträglich war. Aber die Menge wogte, schwoll an, brachte alles durcheinander, das Stimmengewirr zersetzte die Begrüßungen und Rufe, verwirrte die Worte, löschte sie aus, indem es Betonungen und Bedeutungen vermischte. Paolo konnte Federico und Arianna nicht mehr einholen, sie waren inzwischen in der Dunkelheit bei den
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