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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Mimi und Arianna, das war eine seltsame Kombination, aber auch ein Nest.

Eines Abends läuteten die Glocken nicht.
    Biagino wurde auf den Treppenstufen an der Piazza Pisanelli liegend gefunden, ein Speichelfaden rann aus seinem Mund. Manch einer dachte, der junge Ex-Punker habe die Nacht nicht überlebt, sei zwischen einer Via Crucis und einer Runde Padrone und Sotto krepiert.
    Zwei Nichtsnutze wie er, angeführt von dem unvermeidlichen Catone, rissen ein Metallgeländer aus der Absperrung um einen Brunnen und legten ihn darauf, als wäre es eine Trage. Die beiden betrunkenen Träger setzten sich mit dem Segen von Catone in Marsch. Der hatte sich ein irgendwo aufgelesenes Stück Stoff wie eine Stola umgelegt und damit als Priester verkleidet, nun salbte er Biaginos Stirn und rezitierte improvisierte, aus dem Abgrund des Vollrauschs hervorgeholte Psalmen.
    Der kleine Helfertrupp verwandelte sich nach und nach in eine Prozession, Tagediebe, alte Männer und Dorftrottel begleiteten den kollabierten Celestino und seine verrückten Freunde ins Krankenhaus. Es war nicht das erste Mal, dass Biagino Orlando, genannt Celestino, nach einer Sauftour das Bewusstsein verlor.
    Am nächsten Morgen tauchte im Porzellanlicht des Krankenhauses zwischen den voluminösen Hauben der Schwestern Mimis längliches, von der Sonne gebräuntes Gesicht auf. Celestino öffnete die Augen und sah eine Menge Gesichter über sich gebeugt, dann, glänzend und gesund, den schwarzen Pferdeschwanz seiner Schwester, die ihm wie eine Segnung vom Himmel erschien.
    »Brüderchen, ich bringe dich zu mir nach Hause.«
    »Und Mama und Papa?«
    »Mit denen rede ich.«
    Ein Haus mit jungem Apfelbaum vor den Toren von Tricase.
    Ein räudiger Weinberg, umringt von Tuffsteinblöcken und verstreuten Büscheln Grün, eine Frau auf einem Fahrrad fährt den Hügelkamm hinauf, erhitzt von der Auffahrt und der weißen Sonne des frühen Vormittags.
    »Ab morgen schläft Biagino bei uns im Haus.«
    »Und wer füttert ihn durch?«
    »Um Biagino kümmere ich mich.«

Die Nacht des heiligen Rochus am 16. August ist jedes Jahr eine besondere Nacht. Überall in der Umgebung gibt es Feuerwerksspektakel, in vielen Ortschaften wird der Heilige, der sie mit einem einfachen Gebet von der Pest befreit hatte, noch immer um Hilfe angerufen.
    Ruffano ist eines der begnadigten Dörfer. Seit undenklichen Zeiten kreuzen die Eingeweihten ihre Schwerter bei einem rituellen Tanz zu Ehren des Heiligen. Torrepaduli ist ein Viertel von Ruffano, umgeben von Brachflächen aus festgestampfter Erde und von zwei Straßen umschlungen, die es umkreisen und durchlöchern wie die Windungen eines Darms. In der Mitte, auf dem Gipfel des Hügels, auf dem die kleine Ansiedlung liegt, steht die Kirche San Rocco. In dieser einen Nacht des Jahres kommen viele tausend Menschen von überall her, um die Gnade des Heiligen zu erbitten und bis zum Morgengrauen jenen uralten Ritualen zuzuschauen, die unter den Einwohnern überliefert werden.
    Dieses Fest versäumte Mimi nie, sie verabredete sich dann mit Arianna und ihren Eltern. In diesem Jahr setzte sich die Gruppe zum ersten Mal nicht wie gewohnt zusammen. Antonio Orlando ging es seit dem Sommer noch schlechter. Es war nicht nur die Stimme, die verschwand und wiederkam.
    Er wachte morgens mit einem Bronchialhusten auf, der im Laufe des Tages immer stärker wurde, bis stechende Schmerzen in der Brust hinzukamen, so stark, dass Antonio nichts mehr tun konnte als sich ins Bett zu legen, in der Hoffnung, mit befreiten Lungen wieder aufzuwachen.
    Bevor sie nach Torrepaduli fuhren, drehte sich Mimi im alten Haus der Orlando neben einem Kohlebecken, in dem Zitronengras zum Schutz vor den Mücken glühte, wie ein kleines Mädchen um sich selbst vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer der Eltern.
    »Schön bist du, meine Tochter«, hörte sie immer sagen, wenn sie eine Tanzrunde improvisierte, bei der sie sich selbst und das im Spiegel reflektierte Bild des Zimmers mit einem Schatten darin betrachten konnte, dem ihres Vaters Antonio, der sie mit Komplimenten anfeuerte. Doch diesmal ließ sie die Stimme nur in ihrem Kopf erklingen. Niemand sah ihr zu.
    Spiegel werden mit der Zeit böse, sie wellen sich, und dann reflektieren sie verzerrte Bilder, verderben die Schönheit und verspotten die Mängel. Der in eine hölzerne Schranktür eingelassene Spiegel war nur Mimi gnädig, wie sie dort stand, sonnengebräunt in einem gelben, bis zu den Knien eng anliegenden Kleid, die

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