Zenjanischer Lotus (German Edition)
Muster in die zerklüftete Tischplatte.
„Sothorn.“ Danai kam ihm so nah, dass er ihren warmen Atem an seinem Hals spüren konnte. Ihre von verschüttetem Bier klebrigen Finger strichen ihm über den Kiefer.
„Sieh mich an.“
Mechanisch wandte er sich ihr zu.
Sie war eine attraktive Frau mit einem runden Gesicht und von der Seeluft roten Wangen. Ihre Nase war ein wenig schief und ihre abstehenden Ohren verbarg sie geschickt unter ihrer Haarpracht.
Die meisten Männer interessierten sich für ihren verlockenden Ausschnitt und die Linie ihres prallen Hinterns.
„Wir könnten nach oben gehen. Das haben wir lange nicht mehr getan. Zu lange, wenn du mich fragst.“
Sie lächelte spielerisch. Hinter der Fassade loderte eine Sehnsucht, die Sothorn weder teilen konnte noch verstand. Früher war es vorgekommen, dass sie sich eine stille Ecke, ein
freies Bett oder eine Decke oben auf dem Deck suchten und sich in der Nähe des anderen verloren. Aber er hatte das Interesse verloren. Sein Körper forderte diese Form von Vergnügen
schon lange nicht mehr ein. Er hätte nicht einmal gekonnt, wenn er gewollt hätte.
Stumm schüttelte er den Kopf.
Danai verbarg ihre Enttäuschung über die Zurückweisung gut. Etwas längst Vergessenes, Menschliches regte sich in Sothorn und brachte ihn dazu, einen Arm um ihre Schulter zu
legen. Das Schwarz seiner ledernen Armschienen schien zu dunkel für ihre zarte, mit feinen Sommersprossen überzogene Haut.
Vertrauensvoll legte Danai ihren Kopf an seinen Oberarm und sah dabei zu, wie er langsam trank. Jedes Mal, wenn sein Krug sich leerte, winkte sie einem der Mädchen hinter dem Tresen und
ließ ihm Nachschub bringen.
Sothorn kämpfte um die Trunkenheit. Leider tat der Wein nicht seine Wirkung wie in jungen Tagen. Es war eine Nebenwirkung des Zenjanischen Lotus, dass er anderen Rauschmitteln keinen Raum
ließ. Rauchkräuter, Wein und selbst Branntwein hatten es schwer in einem Leib, der im Griff der Droge war.
Er trank konzentriert, ging nach draußen, um sich zu erleichtern, trank weiter.
Stunde um Stunde.
Als der Mittag in den Nachmittag überging, war Sothorn leidlich angetrunken, und die
Tanzende Schiffsratte
füllte sich. Wärme flutete durch seine Gliedmaßen und
ließ ihn vergessen, dass auf seinem Oberschenkel ein Fleck in der Größe seines Handtellers war, den er nicht fühlen konnte.
Danai hatte keine Zeit mehr, bei ihm zu sitzen, denn die Gäste verlangten nach ihrem herben Charme und ihrer bissigen Zunge.
Sothorn bemerkte den Schatten auf der Balustrade viel zu spät. Der sanfte Rausch beeinflusste seine Instinkte und setzte seine Fähigkeit, den Überblick zu behalten, merklich
herab. Nur durch einen Zufall fiel sein Blick auf die hochgewachsene Gestalt, die auf dem niedrigen Balkon neben der Treppe zum Oberdeck stand und zu ihm herunter sah.
Sofort begann es in seinem Nacken warnend zu jucken. Ohne geschärfte Sinne und ein Gefühl für die Gefahr überlebte man weder im Sumpf noch vierzehn Jahre als Assassine.
Sothorn war sich augenblicklich sicher, dass der fremde Mann nichts Gutes zu bedeuten hatte. Das rissige Hemd in der Webart der Fischer und seine schlichte Hose passten nicht zu seiner
selbstsicheren Körpersprache und dem lauernden Ausdruck auf seinem Gesicht.
Sothorn wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte, als der Fremde spöttisch einen Mundwinkel nach oben zog und ihm herausfordernd zunickte. Ihm kam der Gedanke, dass sein Beobachter
gewollt hatte, dass er ihn bemerkte.
Ein Tanz stand ihm bevor. Nicht der erste, vermutlich auch nicht der letzte.
Während er dem Herausforderer über die anderen Gäste hinweg in die Augen starrte, wurde ihm bewusst, dass er sich in eine dumme Lage gebracht hatte. Er war angetrunken, hatte
nichts gegessen, seine Hände zitterten, weil er zu wenig Lotus bekommen hatte und er hatte Schmerzen im Rücken.
Dass der Fremde einen halben Kopf größer war als er und deutlich mehr Muskelmasse sein Eigen nannte, würde ihm im offenen Kampf Mann gegen Mann einen weiteren Nachteil
verschaffen.
Eine Herausforderung.
Es sagte viel über Sothorn aus, dass er nicht einmal auf den Gedanken kam, dass der schwarzhaarige Nordländer auf dem hölzernen Balkon etwas anderes als ein Feind sein
könnte.
Zu oft hatte man versucht, ihn aus dem Weg zu räumen. Zu oft hatte er sich unerwartet in einer Situation wiedergefunden, in der sich andere Meuchelmörder mit seinem Tod ein Denkmal
setzen wollten.
Er war müde.
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