Zenjanischer Lotus (German Edition)
gesucht, um seinem Debakel zu entfliehen und nach Hause zurückzukehren.
Anfangs war er nachts durch das Anwesen seines Herrn geschlichen, hatte erst die Kellerräume und bald darauf die oberen Stockwerke erkundet. Er wusste genau, was er wollte: Herausfinden,
wie er an sein Lebenselixier kam und Stolan von Meerenburg die Kehle durchschneiden.
Später, als ihm bewusst wurde, dass der Alte die Droge an einem geschützten Ort lagerte, hatte er sein Glück in den Tavernen und zwielichtigen Spelunken versucht. Verzweifelt
hatte er nach einem Händler gesucht, der ihn mit Lotus versorgen konnte.
Man hatte ihn ausgelacht, bis er eines Tages an zwei bärtige Seebären geriet, die sich bereit erklärten, ihm zu helfen. Sie wollten, dass er für sie arbeitete und damit war
er einverstanden gewesen. So jung er war, wusste er, dass einem nichts geschenkt wurde.
Doch das, was sie von ihm verlangten, hatte er nicht erwartet. Sie hatten ihn in eine Seitengasse geführt, ihn brutal gegen die Wand gedrängt und ihm die Hose heruntergerissen. Gelacht
hatten sie, ihn einen dummen Jungen genannt und ihm ins Ohr geflüstert, dass sie in dieser Nacht billig ihren Spaß haben würden. Da wurde ihm bewusst, dass sie keinen Zenjanischen
Lotus besaßen. Sie wollten nur ein kostenloses Stück Fleisch genießen.
Bei dieser Gelegenheit tötete Sothorn zum ersten Mal ohne Auftrag.
Blut tropfte von seiner aufgeschlagenen Nase, als der erste Seemann an seiner Hose nestelte. Sothorn lehnte den Kopf an die brüchige Steinwand und zwang sich, bewegungslos zu verharren. Sie
sollten glauben, dass er aufgeben hatte. Als der Schänder sich an ihn drückte, wand er sich wie eine Schlange aus dessen Griff, zog seine Dolche aus ihren Lederhüllen an den
Unterarmen und rammte sie blind nach hinten. Bevor der zweite Seemann begriff, was seinem stöhnenden Kompagnon widerfahren war, trug er selbst eine tiefe Wunde in seinem Wanst.
Für diese beiden Männer gab es keine Halbmonde auf Sothorns Oberarmen. Er zahlte ihren Tribut an sie jedes Mal, wenn er den Eingang der Gasse passieren musste.
Auch Jahre später konnte er ihren fauligen Atem riechen und ihre Hände zwischen seinen Beinen fühlen, die sich grob an ihm zu schaffen machten.
Manchmal kam es ihm vor, als wäre dieser vage Schatten einer längst ausgestandenen Angst das Einzige, was er empfinden konnte.
Die Taverne
Zur tanzenden Schiffsratte
befand sich am Ende des Hafens zu Füßen der einzigen Werft der Stadt.
Das imposante Segelschiff mit der ätherischen Schönheit als Galionsfigur lag aufgebockt auf dem Sandstrand und blickte sehnsüchtig in Richtung des Meeres, das es viele Jahrzehnte
lang befahren hatte. Der Name auf seinem Heck war nicht mehr zu entziffern, in den Planken lebte der Holzwurm und der ehemalige Laderaum war zu einer Spelunke geworden, aus der Gelächter,
Geschrei und Musik in Richtung Oberstadt schallten.
In der
Ratte
gab es nur eine Regel, an die man sich als Gast tunlichst halten sollte: „Stell keine Fragen.“
Alles andere unterlag dem Gutdünken und den Launen der Besucher, besonders der Stammgäste, die die schattigen Ecken zwischen Schiffswand und von Rauch verfärbten
Stoffvorhängen nutzten, um ihre Geschäfte abzuwickeln.
An diesem Morgen war der Gastraum fast leer. Das lag weniger an der verbreiteten Vorstellung von Anstand, die rechtschaffene Menschen davon abhielt, vor dem Mittag eine Taverne aufzusuchen. Viel
mehr lockte das Angebot frischer Waren im Hafen die Schattengestalten der Stadt auf ihre Beobachtungsposten rund um die Lagerhäuser.
Sothorn konnte es nur recht sein. Ihm war nicht nach Gesellschaft zumute. Eher nach dem leisen Spiel der Standgeige – einem mannshohen Streichinstrument mit gekrümmtem Korpus in Form
eines Halbmonds, das schnurrende Töne von sich gab – und heißem, mit Kräutern versetztem Wein. Er suchte zwischen den von Ruß geschwärzten Holzwänden nach der
Normalität, die seinem Dasein fehlte.
Als er den Schankraum betrat, sah er sich rasch um. Ein Seemann mit buschigem Schnauzbart lag schnarchend auf dem Tresen. Zwei fremdländische Reisende in bunten Roben hockten unsicher an
einem der ersten Tische und wichen Sothorns Musterung aus. In ihrer Nervosität waren sie gute Opfer für Beutelschneider. Ihr Glück, dass er sich bereits anderweitig bereichert hatte.
Danai wäre ohnehin böse geworden, wenn er ihre Gäste bestohlen und sie um ihr Trinkgeld gebracht hätte.
Unter dem Steuerrad an der Wand saß
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