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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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eine Gruppe von Kartenspielern um einen fünfeckigen Tisch. Einer von ihnen war ein I‘Shaami; ein Angehöriger eines Volkes, das weit im
Süden auf dem Kontinent Inahain lebte. Seine hellgrüne Netzhaut, die weder Pupille noch Iris zeigte, war ebenso beunruhigend wie seine an Rinde erinnernde Haut und seine zwei
Armpaare.
    Sothorn wäre nicht bereit gewesen, sich auf ein Kartenspiel mit einem Mann einzulassen, bei dem er nie sicher sein konnte, wen er ansah oder was seine untätigen Hände unter dem
Tisch anstellten. Davon, dass die I‘Shaami bis zu einem gewissen Punkt magisch begabt waren, ganz zu schweigen.
    Die Stimmen der Spieler dröhnten trunken gegen das Summen der Standgeige an. Sothorn hatte keinen Zweifel, dass die Süchtigen des Glücks die ganze Nacht hier verbracht hatten. Er
konnte die Ausdünstungen ihrer ungewaschenen Körper riechen und suchte sich deshalb einen Platz am anderen Ende des Schiffsrumpfes.
    Kaum, dass er sich auf die Holzbank gesetzt hatte, näherte sich ihm ein Wirbelwind in einem roten, um die Taille allzu eng geschnittenen Kleid.
    Danai wirkte munter, als hätte sie nach einer langen Nacht der Ruhe ihr Lager verlassen. Einzig ihre unbändigen schmutzigblonden Locken fielen ihr zerzaust über die nackten
Schultern, statt sich von dem Band in ihrem Nacken bändigen zu lassen. Sie lächelte.
    „Du hast mich lange nicht besucht“, schmollte sie mit einem Zwinkern. „Du vernachlässigst mich, mein Freund.“
    Sie nannte ihn immer ihren Freund. Dabei wusste sie, dass jemand wie er keine Freundschaften schloss. Nähe zu ihm war gefährlich, und die notwendige gefühlsmäßige
Bindung konnte er nicht aufbringen. Aber Danai gefiel es, ihn als Freund zu bezeichnen, und er sah keinen Grund, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
    Er erwiderte ihre Begrüßung nicht. Es gab nichts zu sagen. „Hunger? Oder nur Durst?“, fragte sie direkt. Sie war mit seiner wortkargen Art seit vielen Jahren vertraut.
    Als sie sich kennenlernten, war er ein verlorener Junge gewesen und sie eine Schankmaid, die damit leben musste, dass ihr Vater sie mit stinkenden Seeleuten in die Kajüte schickte.
    Seitdem hatte sich vieles geändert. Er war ein Mann am Ende seines Lebens, Danai die Besitzerin der
Ratte
. Ihr Vater war zu Tode gekommen. Auf welche Weise hatte Sothorn nie
gefragt.
    „Nur Durst“, sagte er mit rauer Stimme und griff nach dem gestohlenen Lederbeutel. Er reichte ihn Danai: „Bring mir Wein, bis das Silber verbraucht ist.“ Vermutlich
würde sie ihn betrügen, aber bis dahin war er hoffentlich angetrunken, sodass es ihn nicht scheren würde.
    Sie nickte: „Warm?“
    „Warm.“
    Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich in Richtung Theke und kam kurze Zeit später mit einem Krug dampfenden Rotweins zurück. Statt Sothorn allein zu lassen, setzte sie sich dicht
neben ihm auf die Bank und sah ihn von der Seite an. Er konnte die Fragen, die ihr auf der Zunge brannten, fast in seinen Ohren summen hören.
    Nie wusste er, wie er ihren brennenden Blick zu deuten hatte. Nie wusste er, ob er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schätzen oder sich darüber ärgern sollte.
    Letztendlich tat er weder das eine noch das andere, sondern ignorierte sie. Danai erwartete nichts anderes.
    „Es sind nicht mehr viele übrig“, raunte sie ihm nach einer Weile des einvernehmlichen Schweigens zu. „Nur noch der Kapitän Tolka, und er hat Angst.“
    Sothorn wusste sofort, wovon sie sprach. Er hatte ihr nie erzählt, welche Dienste er für seinen Herrn erledigte. Aber sie war keine dumme Frau und kannte sich gut genug in der
Unterwelt aus, um den leeren Blick und das teilnahmslose Gebaren eines Süchtigen zu erkennen. Die zahlreichen Wunden, die er über die Jahre davon trug, zeichneten die Geschichte eines
gewalttätigen Broterwerbs auf seine Haut.
    Danai verurteilte ihn nicht. Manchmal glaubte er, dass sie Mitleid mit ihm hatte – oder einfach mit ihm schlafen wollte.
    „Die ganze Besatzung der
Falkenfeder
ist tot. Einen nach dem anderen haben sie mit aufgeschlitzter Kehle gefunden. Der Alte tut mir leid. Ich finde, man sollte ihm Gnade
gewähren. Er wird den nächsten Winter eh nicht überleben.“
    Sothorn war nicht sicher, was sie ihm sagen wollte. Erwartete sie von ihm, dass er zugab, dass er diese Aufträge übernommen hatte? Oder dass er den Kapitän laufen ließ und
seinem Meister vorgaukelte, er hätte seine Arbeit getan? So verrückt konnte sie kaum sein.
    Mit der Spitze seines Dolchs ritzte er ein

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