Zenjanischer Lotus (German Edition)
Er wollte nicht mehr kämpfen, sich nicht mehr wehren. Aber aufgeben konnte er nicht. So viel war er sich selbst und seinem Ruf schuldig.
Als er aufstand und ohne einen Blick zurück die Kneipe verließ, wusste er, dass ihm ein harter Kampf bevorstand. Und trotz aller Unlust dem Leben gegenüber wollte er ihn
gewinnen.
Auf der Pirsch
Das kalte Wasser weckte Sothorns Lebensgeister und vermischte sich auf seinem Gesicht mit dem prasselnden Regen. Er löste sich von dem Fass, in das er kurzerhand seinen Kopf gesteckt hatte,
um seine Sinne zu schärfen. Er war nicht nüchtern, aber für einen daher gelaufenen Emporkömmling würde es reichen.
Er bleckte die Zähne. Milder Ärger keimte in Sothorn auf. Da hatte er einen halben Tag und einen Beutel Silber benötigt, um sich ein vages Gefühl der Trunkenheit zu
bescheren, und nun hatte er nichts davon.
Die gelassene Haltung seiner Schultern verriet nichts über seine innere Anspannung. Für einen Passanten war er nicht mehr als ein Söldner, der zu viel getrunken hatte und einen
klaren Kopf haben wollte, bevor er auf sein Schiff zurückkehrte.
Der Eindruck täuschte. Und war lebensgefährlich.
Dann wollen wir mal sehen, wie gut du dieses Spiel beherrschst, dachte Sothorn, bevor er sich von der
Ratte
abwandte und in Richtung der Lagerhäuser ging.
Bewusst bewegte er sich in der Mitte des Weges, stellte sicher, dass er trotz des dichten Vorhangs aus Regen gut zu sehen war. Er fürchtete sich nicht davor, einen Bolzen in den Rücken
zu bekommen. Hätte sein Verfolger ein Interesse daran gehabt, ihn aus dem Hinterhalt zu erledigen, hätte er es längst getan.
Im Gehen überprüfte er den Sitz seiner Unterarmklingen. Locker schmiegten sie sich in ihre ledernen Scheiden und warteten darauf, Blut zu kosten. In Sothorns Schritt mischte sich eine
uncharakteristische Leichtigkeit, die nicht zu seinem kühlen Wesen passte.
Kampf. Herausforderung. Wer kämpfte, war am Leben. Blieb am Leben. Wer versagte, starb. Ein simples Naturgesetz, das in diesen Augenblicken, da er um den Verfolger in seinem Nacken wusste,
Erregung in seinen abgestumpften Geist fließen ließ.
Es war Monate her, dass man einen Assassinen auf ihn angesetzt hatte. Im Spiel der Mächtigen waren er und seinesgleichen nur einzelne Figuren, die man gegeneinander ins Feld führte.
Mal zum Vergnügen oder aufgrund einer Wette, manchmal, weil die Interessen zweier Handelsmagnaten kollidierten.
Sothorn war es gewohnt, in die Schatten zu spähen und nach Feinden Ausschau zu halten. Es war eine Dummheit, dass man Assassinen auf ihn ansetzte, die Balfere nicht halb so gut kannten wie
er selbst.
Der Kampf an sich schenkte ihm eine dumpfe Befriedigung. Die jungen Burschen zu töten, bereitete ihm kein Vergnügen.
Er hatte keine Wahl. Er hatte den Auftrag, jeden Assassinen zu beseitigen, der Balfere betrat. Und er hasste es, dass er diesen einen Auftrag nie zu Ende bringen konnte. Dass sein Herr ihm diese
Last nie von den Schultern nehmen würde, bis er tot war.
Aber was sollte es? Er war eine Waffe. Niemand fragte das Schwert, was es davon hielt, ein Loch in die Eingeweide eines Gegners zu reißen.
Er spürte die Präsenz hinter sich mehr, als dass er sie hörte. Sie verfolgte ihn, kam ihm aber nicht zu nahe. Klug. Erst beobachten, dann zuschlagen. Sich nicht von einem
vermeintlich sorglosen Opfer narren lassen.
Warten. Lernen. Schwächen ausspähen.
Leichtfüßig sprang er über ein aufgerolltes Tau hinweg und feixte böse, als er sich vorstellte, was im Kopf seines Gegners vor sich ging.
Hatte er Angst? War er irritiert? War ihm bewusst, dass er nicht der Jäger, sondern die Beute war?
Der Regen nahm an Heftigkeit zu, als Sothorn ein Lederband von seinem Unterarm löste und sich im Gehen die Haare zusammenband. Geschickt bildete er aus den nassen Strähnen einen
dunkelroten Wust, der in seinem Nacken saß. Eitelkeiten lagen ihm nicht. Eines Tages würde er seinen Meister finden, aber nicht, weil ihm während des Kampfes die Haare ins Gesicht
fielen.
Zielstrebig näherte er sich den Lagerhäusern, die sich im Schutz einer senkrechten Felswand an den Hang kauerten. Anbauten, Brände und uneinige Bauherren hatten einen Irrgarten
aus Holz geschaffen, in dem sich neue Arbeiter tagelang verliefen. Wasser plätscherte von hohen Dächern, ergoss sich erst auf niedrigere Schuppen und von dort auf den weichen
Erdboden.
Zwischen Pfützen und Schlamm blieben Fußspuren nicht lange bestehen. Trotzdem
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