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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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die Augenbrauen hoch: „Wie kommst du denn darauf? Kara ist seit dem Morgengrauen auf der
Henkersbraut
und streicht mit Theasa die Reling.“
    „Das kann nicht sein“, fuhr Sothorn unnötig scharf auf. Er hasste es, sich ausgeliefert zu fühlen, und er wurde zunehmend nervös. Es war, als wüsste er
längst, was ihn beunruhigte, aber eine unbekannte Macht hielt ihn davon ab, es beim Namen zu nennen. „Sie hat mich rufen lassen. Wegen der Bienenkörbe.“
    „Hm, das ist seltsam“, dachte Enes laut nach. Er trat einen Schritt von Sothorn zurück und legte sinnierend den Zeigefinger ans Kinn. „Warum sollte sie dich in den Wald
locken, wenn sie gar nicht da ist? Es sei denn natürlich, jemand anders hat dem kleinen Till aufgetragen, dir zu sagen, dass Kara dich braucht. Jemand, der wert darauf gelegt hat, dass du zu
ihm in den Wald kommst.“
    Frostige Erkenntnis vereiste Sothorns Adern. Es brauchte nicht das Aufglühen von Enes‘ sardonischem Grinsen, um ihm auf die Sprünge zu helfen.
    Eine Wildfalle. Er hing in einer Wildfalle, die jemand auf einem der meist genutzten Wege der Bruderschaft ausgelegt hatte. Auf einem Pfad, der von Tieren nur mit größter Vorsicht
betreten wurde, weil es überall nach Mensch stank.
    Jemand hatte Beute der besonderen Art machen wollen, und wenn Sothorn das selbstzufriedene Leuchten in Enes‘ Augen betrachtete, hatte derjenige bekommen, was er wollte.
    Ein ungläubiges Lachen wollte sich aus seiner Kehle lösen und verendete als Husten, weil ihm Speichel in die Luftröhre geriet. Das Seil schaukelte.
    Fassungslos sah Sothorn Enes an: „Das kann nicht dein Ernst ein. Hängst du alle Männer in die Bäume, die dich abgewiesen haben?“
    Im nächsten Moment wurde ihm die Luft knapp, weil ihn zwei harte Schläge in die Magengrube trafen. Kurzzeitig fühlte er Dunkelheit nach sich greifen, sodass er Enes nur
hörte, aber nicht sah.
    „Du nimmst mich immer noch nicht für voll. Du hängst hilflos und entwaffnet vor mir, bist meiner Gnade ausgeliefert und glaubst doch, dass du die Oberhand hast. Dass dies ein
Spiel ist. Und was es wirklich amüsant macht: Du glaubst, dass es um dich geht. Aber ich will dir etwas verraten: Es geht und ging nie um dich.“
    Sothorn spuckte etwas Magenflüssigkeit aus, bevor er kurzatmig konterte: „Und ich dachte, du magst mich. So kann man sich täuschen. Wenn es nicht um mich geht, um wen dann? Um
Geryim? Bitte sage mir nicht, dass ich in einer Wildfalle sitze, weil du ihn davon überzeugen willst, dass du die bessere Wahl bist. Denn falls du es nicht weißt, er hat kein Interesse
an mir. Du kannst ihn haben.“
    Enes‘ Gelächter war reines Gift: „Geryim und du. Ihr seid so stolz. Ihr haltet euch für unwiderstehlich. Und alles nur, weil ich euch mit großen Augen
hinterhergeschaut habe. Du bist ein Holzkopf, großer Meisterassassine. Dabei hat Geryim versucht, dich zu warnen, nicht wahr? Er hat versucht, dein Vertrauen in mich zu untergraben. Und doch
hast du die wichtigste Regel vergessen. Traue nie einem
bene-yden
.“
    Von einer Sekunde zur nächsten änderte sich Enes‘ gesamtes Auftreten von seinem Gebaren über seine Körperhaltung bis zu seiner Stimmlage.
    Sothorn glaubte die Tränen in seinen Augen zu
sehen
, als er weinerlich raunte: „Wir haben es schwer, weißt du? Niemand vertraut uns. Dabei hatten wir doch keine Wahl. Uda
ist gestorben, weil niemand sie lieben konnte. Seitdem bin ich ganz allein. Dabei hat man uns genauso wie euch gezwungen, die schmutzige Arbeit zu machen.“
    Wieder wechselte der Tonfall. Enes knickte die Hüfte ein und legte sich eine Hand in den Schritt. Er befeuchtete verführerisch seine Lippen, bevor er gurrte: „Wir sehen uns heute
Nacht. Du kannst mich haben. Lass mich dich glücklich machen.“
    Der rasante Wechsel der Masken traf Sothorn unvorbereitet. Zum ersten Mal, seitdem er in die Falle geraten war, empfand er Angst.
    Enes, der kleine, schüchterne Enes, mit dem er in einer Hütte weit fort von hier eine zahme, sanfte Liebesnacht verbracht hatte, zeigte sein wahres Gesicht. Bewies, warum die
bene-yden
einen schlechten Ruf hatten und selbst Assassinen ihnen nicht trauen wollten.
    Sothorn dachte nach. Er nahm an, dass er in Gefahr war. Enes kostete seinen Triumph unübersehbar aus. Es war zweifelsohne klug, ihn am Reden zu halten.
    Ob jemand gesehen hatte, dass er in den Wald ging? Würde Till zufällig am Strand auf Kara treffen und verwundert fragen, warum sie nicht bei den

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