Zenjanischer Lotus (German Edition)
er einige gute Monate erlebt hatte. Er konnte sich nicht sagen, dass er
Zeit geschenkt bekommen hatte.
Denn nichts, was er sich einredete, änderte etwas daran, dass er nicht abtreten wollte. Und nichts konnte verhindern, dass er in die Dunkelheit gehen würde.
Auch nicht die eigenartige Wolke, die in einer Astgabel hing und sich dem leichten Wind zum Trotz nicht löste.
Sothorn stutzte. Bei genauerer Betrachtung war es keine Wolke. Viel mehr handelte es sich um eine einzelne Rauchschwade, die bewegungslos über ihm verharrte.
Unsichtbar, solange man den Blick schweifen ließ. Sichtbar hingegen für einen Mann, der verzweifelt nach dem letzten Bild seines Lebens Ausschau hielt.
Nicht wissend, ob es die Todesangst war, die ihn sich an eine vage Hoffnung klammern ließ, sah Sothorn sich vorsichtig um. Ihm schwindelte inzwischen, und in seinem Kopf hämmerte das
Blut.
Spielten seine Augen ihm einen Streich? Er glaubte fast, zwei weitere Rauschschwaden zu erkennen, die sich hinter Stolan und Enes manifestiert hatten. Wartend.
Wenn sie es sind ... Wenn dir dein Wunschdenken keine Streiche spielt, darfst du sie nicht verraten, beschwor Sothorn sich stumm. Sieh nicht hin. Sieh aber auch nicht zu auffällig
nicht hin. Versuche, sie abzulenken.
„Und? Was habt ihr vor? Wollt ihr in die Festung gehen, Theasa und Janis höflich bitten, abzutreten und der Bruderschaft raten, euer Angebot anzunehmen?“, plapperte er drauflos,
um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er wusste, dass Stolan sich gern reden hörte, und baute darauf, dass es ihm ein Vergnügen sein würde, seine Pläne zu
enthüllen.
Dass es Enes war, der antwortete, verwunderte ihn und verriet ihm weit mehr über den
bene-yden,
als ihre gemeinsame Nacht vermittelt hatte.
„Wir tun gar nichts. Es ist alles vorbereitet. Das Weinfass für heute Abend ist mit einem Schlaftrunk und einer ordentlichen Portion Lotus versetzt“, erklärte der
Verräter genüsslich. „Nach und nach werden die meisten einschlafen. Mit den wenigen, die nichts trinken, werden wir anderweitig fertig. Wenn der Schlaftrunk wirkt, werden wir sie in
die Kerker bringen. Dort werden sie bleiben, bis sie nachgeben. Allein mit ihrer Sucht, denn in den ersten Tagen wird alles, was wir ihnen bringen, mit Lotus versetzt sein. Bis sie sich erinnern,
wer sie sind: Assassinen.
Meine
Assassinen.“ „Unsere Assassinen“, erinnerte Stolan mit einem väterlichen Lächeln, das ebenso falsch war wie der Goldzahn, der
seinen linken Eckzahn ersetzte.
„Entschuldige, mein Freund“, nickte Enes. „Unsere Assa ...“
Er brach ab, riss die Augen auf.
Sothorn fürchtete schon, dass er die Rauchschwaden bemerkt und die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Dann sah er das Blut aus dem Schnitt in Enes‘ Kehle rinnen, hörte sein
erstauntes Röcheln, sah Janis‘ ausdrucksloses Gesicht hinter ihm, den erhobenen Dolch.
Der friedliche Wald, der bisher lediglich Schauplatz einer hässlichen Begebenheit gewesen war, verwandelte sich innerhalb eines Atemzugs in ein Schlachtfeld.
Stolan fuhr herum und rief seine Söldner zu sich. Sie gehorchten sofort und liefen auf Janis und ihren Herrn zu.
Zwei von ihnen erreichten ihr Ziel nicht.
Über Sothorn ertönte ein Grollen in der Baumkrone. Ein Schatten stürzte an ihm vorbei in den Rücken eines Söldners. Das Brechen des Rückgrats ertönte, dann lag
der Mann still. Szaprey schlug ihm trotzdem kurz die Fänge in den Nacken und kostete sein Blut.
Zeitgleich tauchte Varn aus dem Rauch auf und trieb einer Kriegerin das Schwert von hinten durch den Torso, sodass sie stöhnend rückwärts sackte, als wolle sie sich an ihren
Mörder lehnen.
Varn befreite sich mit einem Tritt und sprang zu Janis, um Rücken an Rücken mit ihm zu kämpfen.
Szaprey hechtete indessen auf den Gefangenen zu. Aus dem Stand sprang er in die Luft und zerteilte mit seinen Krallen das Seil.
Fluchend schlug Sothorn auf dem Boden auf. Seine Muskeln und Knochen stöhnten protestierend, aber nichts brach.
„Fußfesseln!“, rief er kaum, dass er zu Atem gekommen war.
Szaprey tat ihm den Gefallen, zerfetzte Riemen und Haut, bevor er sich mit einem Aufheulen in den Kampf stürzte. Er fiel den Söldnern in den Rücken, schlug mit Krallen und
Fängen nach Gesichtern, Armen und Beinen. Nie nahm er Rücksicht auf die Waffen, die sich ihm näherten und blutige Wunden in seinem Fell hinterließen.
Schmerzensschreie ertönten.
Noch bevor Sothorn sich den Kämpfenden nähern
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