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Zenjanischer Lotus (German Edition)

Zenjanischer Lotus (German Edition)

Titel: Zenjanischer Lotus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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tröstet: Es geht nicht um das, was ich will. Oder um das, was du willst. Es geht um das, was ich sein kann.“
Zögern. „Und darf.“
    Er hörte ihn kaum. Entschuldigungen, Ausreden, Erklärungsversuche. Nicht von Interesse.
    Sothorn ließ die Tür offen. Tastend glitt er mit der Hand über die Wand, als er dem Verlauf des Flurs folgte. Er wusste nicht, wohin. Er passierte sein Zimmer, ohne es zu
betreten. Weiter und weiter.
    Gehen, um nicht stehen bleiben zu müssen. Gehen, um sich zu entfernen. Gehen, um nicht zu denken.
    Innerlich schalt er sich einen Narren. Geryim selbst hatte ihn von Anfang an wissen lassen, wo er stand.
    Was hatte ihn glauben machen, dass sich etwas geändert hatte? Eine Nacht, in der er einen Freund tröstete, dem es schlecht ging? Auf dieselbe Weise, die er jedem anderen Mitglied der
Bruderschaft hätte zukommen lassen?
    Himmel, selbst Szaprey hätte er nicht von sich gewiesen, wenn der Roaq Unterstützung gesucht hätte.
    „Narr“, flüsterte Sothorn erst leise, dann eindringlicher und mit einem heiseren Auflachen.
    Die Flure erstreckten sich endlos vor ihm. Es zog ihn fort.
    Er passierte Türen, die er nie zuvor gesehen hatte. Brüchige Treppen nahmen ihn auf und führten ihn tiefer in die Festung.
    Steinstaub stob bei jedem Schritt in die Luft und hüllte ihn in eine schützende Wolke. Bald legte er sich als Schleier auf Sothorns Haut und Haaren nieder. Färbte ihn grau.
    Als sein Mund zu trocken war, um zu schlucken, blieb er stehen und betrachtete die Überreste eines Mosaiks, ohne es recht zu sehen. Es mochte einst eine Herde ziehender Pferde dargestellt
haben – oder Ziegen. Er fühlte mit den bunten Bruchstücken, die sich zu seinen Füßen in den Staub gruben. Ihm war, als bestünde er selbst aus vielen
Einzelteilen, die aus ihrem Rahmen gefallen waren.
    Er hockte sich hin, berührte eins der dunkelgrünen Fragmente, bevor er nach vorn stürzte. Seine Knie schmerzten unter der Belastung des Aufschlags. Seine Schulter traf auf die
Wand, und er lehnte sich Halt suchend dagegen.
    Die Fülle seiner Empfindungen erschreckte ihn. Zu viel Schmerz und Bedauern für einen einzelnen Mann.
    Sothorn fragte sich, ob er sich schämen sollte, weil ihm nach Weinen zumute war. Aber da seine Augen trocken blieben und er nicht recht wusste, wie er die Tränen zum Fließen
bringen sollte, erübrigte sich die Frage.
    Er versuchte, die Erinnerung an ihr letztes Zusammensein in sich wach zu rufen. An das Gefühl von feuchter Haut, die sich an seine drängte. An Küsse, die keinem eindeutigen Zweck
zuzuordnen gewesen waren.
    Es war unmöglich.
    Dass es das letzte Mal gewesen sein sollte, machte es umso schwerer zu ertragen. Und Sothorn fragte sich, warum er all das Leid, sich vom Lotus zu lösen, auf sich genommen hatte. Hätte
er in diesem Augenblick noch einmal die Wahl gehabt, hätte er sich gegen die Bruderschaft entschieden.
    Der Schmerz, Geryim zu lieben und ihn nicht haben zu können, war unerträglich.

Die Maske
    Mit dunklem Brot wischte er die Essenreste aus der Schale. Der Brei war mit Honig gesüßt, der den starken Eigengeschmack des Getreides übertünchte.
    Sothorn bemerkte es kaum. Er aß, weil es gut für ihn war und sein Magen nach Tagen des unmäßigen Weinrauschs nach verträglicher Speise verlangte.
    Hunger hatte er nicht.
    Konzentriert schob er sich das Brot in den Mund, kaute gründlich, bevor er mit einigem Widerwillen schluckte. Sein Blick war starr auf den Rußfleck oberhalb der Kochstelle gerichtet.
Wenn man lange genug hinsah, meinte man im Schmauch Figuren zu erkennen.
    Albträume hatten Sothorn in der Nacht gejagt und eine eigentümliche Nervosität in seinen Knochen zurückgelassen. Zumindest wollte er glauben, dass seine bildgewaltigen
Träume, die durch keine Tinktur aus Szapreys Labor eingedämmt werden konnten, für seine Unruhe verantwortlich waren.
    Unter seinem mühsam aufrechterhaltenen Selbstbetrug wusste er, dass es Geryim war, der ihm nachts unerwünschte Gesellschaft leistete. Die Abfuhr saß tief und verfinsterte
Sothorns Gemüt.
    Darüber hinaus gab es mit einem Mal zu viele leere Stunden in seinem Tagesablauf.
    Erst jetzt, da der Wargssolja entschieden hatte, ihr vages Miteinander zu beenden, wurde ihm bewusst, wie viel Zeit sie zusammen verbracht hatten. Sothorn vermisste ihn. Und es machte ihn
rasend, dass er nicht wusste, was Geryim umtrieb.
    Eine Bewegung an der Tür ließ ihn unwillig aufsehen. Nicht umsonst war er spät zum Frühstück

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