Zenjanischer Lotus (German Edition)
gegangen, um die Küche für sich allein zu haben.
Seine Miene entspannte sich, als er den neunjährigen Till in den Raum spähen sah. Der blonde Wildfang kannte kein anderes Zuhause als die Bruderschaft, die sich rührend gemeinsam
um ihre Kinder kümmerte. Nicht zuletzt, weil die Frage der Vaterschaft oft ungeklärt blieb.
Bei Till war Sothorn sich nicht einmal sicher, wer seine leibliche Mutter war. Nouna? Oder doch Aily?
„Was gibt es, Kleiner?“, fragte er.
Es fiel ihm leicht, einen freundlichen Ton anzuschlagen. Zwar kam Sothorn nicht immer mit den Kindern zurecht, aber Till war alt genug, um verständig zu sein, wenn es wichtig war. Dass er
ihm dauernd in den Ohren lag, ihm das Kämpfen mit den Unterarmklingen beizubringen, schmeichelte ihm.
„Kara braucht dich“, erklärte Till. Ihm war anzusehen, wie stolz er war, der Bote einer wichtigen Nachricht sein zu dürfen. „Sie ist im Wald bei den
Bienenkörben.“
Sothorn schnitt eine Grimasse. Er schlug sich ungern mit den Bienen herum. Ihr Surren und Flirren fiel ihm auf die Nerven, und er fand es schier unmöglich, ihr Verhalten
einzuschätzen.
Er seufzte abgrundtief: „Hat sie gesagt, wozu sie mich braucht?“
„Die Körbe müssen versetzt werden oder sind umgefallen oder so“, sagte der Junge desinteressiert. Er zappelte: „Gehst du zu ihr? Kann ich zurück zu den anderen?
Wir haben einen Krebs gefangen, und ...“
„Natürlich. Lauf spielen. Ich gehe gleich zu ihr.“
Sothorn schaffte es nicht einmal, den Löffel auf den Tisch zu legen, bevor Till verschwunden war.
Ächzend erhob er sich. Er glaubte zu wissen, warum Kara ihn um Hilfe gebeten hatte. Sicherlich wollte sie die Gelegenheit nutzen, mit ihm über Geryim zu reden und zu erfahren, was
zwischen ihnen vorgefallen war.
So gern Sothorn Kara hatte, wollte er nicht mit ihr reden. Es war alles gesagt worden; zwischen Geryim und ihm. Allein. Nichts würde sich ändern, wenn er Kara reinen Wein
einschenkte – und unangenehm wäre es ihm außerdem.
Entsprechend ließ Sothorn sich Zeit auf dem Weg zu den Bienenkörben. Er schlenderte den Uferpfad entlang und blieb am Weidezaun stehen, um Varn und Janis beim Prüfen frisch
zugeschnittener Weidenbögen zu beobachten. Sie diskutierten ernst über jeden einzelnen Bogen und prüften das Holz auf Flexibilität und Bruchfestigkeit.
Sothorn gefiel die Ruhe, die von ihnen ausging.
An einem anderen Tag hätte er sich zu ihnen gesellt. Er arbeitete gern mit Holz, hatte er inzwischen herausgefunden. Heute zweifelte er daran, dass er die nötige Gelassenheit
aufgebracht hätte, das Holz zu dehnen und darauf zu hoffen, dass es ihm nicht in den Händen zersprang.
Er wandte sich ab und betrat einen der ausgetretenen Wildwechsel, die in die Wälder führten. Er kannte sie mittlerweile alle.
Der Pfad, der hinter den Stallungen begann und sich wie eine Schlange um die Klafter mit Feuerholz wand, führte zu einer sauberen Quelle im Schatten einer Felsformation.
Ein anderer nahm seinen Anfang im Steinschutt nahe der alten Freitreppe der Festung. Über ihn erreichte man die abgelegene Weide unterhalb der Aschefelder, auf die sie die Pferde brachten,
wenn die Wiese am Stall zu feucht war.
Sothorn wählte einen Weg, der ihn zu der größten Lichtung der näheren Umgebung führte. Zu dumm, dass er vergessen hatte, Till zu fragen, bei welchen Körben Kara
auf ihn wartete.
Die geflochtenen Bauten der Bienenvölker zogen sich durch den halben Wald. Der Bedarf der Bruderschaft an Honig und Wachs stieg unaufhörlich. Nicht zuletzt, weil sie in der Festung
stets unter der Erde weilten und auf das Licht von Kerzen und Fackeln angewiesen waren.
Während Sothorn sich auf die Suche machte, ertappte er sich dabei, dass seine Gedanken unerlaubt zu Geryim wanderten.
Erst, weil er Sorge hatte, ihm zu begegnen. Der Wargssolja verbrachte in diesen Tagen viel Zeit in der Wildnis.
Dann, weil sich seine Überlegungen im ewig gleichen Kreis drehten, aus dem es keinen Ausweg gab.
Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte er Geryim unter Druck gesetzt? Was meinte er, wenn er sagte, dass er sich nicht einlassen durfte? Und warum kümmerte es ihn? Wem war er Rechenschaft
schuldig?
Wenn es etwas gab, das Geryim davon abhielt, eine Bindung zu ihm aufzunehmen, dann sollte er es sagen. Sothorn fand, dass er eine Erklärung verdiente. Wenn er nicht bekommen konnte, wonach
er sich sehnte, wollte er wenigstens wissen, warum.
Missmutig trat Sothorn nach einem Stein. Er
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