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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wehtun.«
    Ich mir auch nicht , dachte ich.
    Rob polierte mir die Zähne und ließ mich den Mund ausspülen. »Das nenne ich jetzt mal ein wunderbares Gebiss«, sagte er und hielt einen Spiegel in die Höhe. »Lächeln, Amelia.«
    Ich leckte mir über die Zähne – das hatte ich schon seit drei Jahren nicht mehr tun können. Meine Zähne fühlten sich groß und glatt an, als gehörten sie nicht in meinen Mund. Ich ließ sie allesamt aufblitzen – in einer drohenden Grimasse. Das Mädchen im Spiegel hatte wunderbar gleichmäßige Zähne … sie sahen aus wie die Perlen, die ich meiner Mutter aus dem Schmuckkästchen gestohlen und in einem Schuhkarton versteckt hatte. Ich legte sie mir nie um, aber ich mochte, wie sie sich anfühlten: glatt und gleichmäßig. Das Mädchen im Spiegel konnte man fast schon als hübsch bezeichnen.
    Und das wiederum hieß, dass ich das nicht sein konnte.
    »Das hier geben wir Kids, die ihre Behandlung beendet haben«, sagte Rob und gab mir einen kleinen Plastikbeutel mit seinem Namen darauf. »Danke«, murmelte ich, sprang vom Behandlungsstuhl und riss mir das Papiertuch herunter.
    »Amelia, warte … Dein Spannbügel …«, rief Rob, doch ich flüchtete bereits durch die Praxistür. Anstatt die Treppe runter und aus dem Gebäude zu laufen, rannte ich nach oben. Dorthin würde mir niemand folgen, dachte ich – nicht dass das jemand wollte; so wichtig war ich nicht, oder? Ich schloss mich auf einer Toilette ein und schaute in den Beutel, den Rob mir gegeben hatte. Da waren Gummibärchen und Popcorn – Süßigkeiten, die ich schon so lange nicht mehr gegessen hatte; ich wusste schon gar nicht mehr, wie sie schmeckten – und ein T-Shirt, auf dem gedruckt stand: SHIT HAPPENS , ALSO TRAG DEINE KLAMMER .
    Die Toilette hatte einen schwarzen Deckel. Mit einer Hand hielt ich mir die Haare zurück und steckte mir den Finger in den Hals. Eines hatte Rob nicht bemerkt: die kleine Kerbe in meinem Zeigefinger, die entstanden war, weil ich ihn mir beim Kotzen an die Schneidezähne drückte.
    Hinterher fühlten meine Zähne sich wieder pelzig und schmutzig an … vertraut. Ich spülte mir den Mund am Waschbecken aus und schaute dann in den Spiegel. Meine Wangen waren rot, meine Augen leuchteten.
    Ich sah ganz und gar nicht wie jemand aus, dessen Leben gerade auseinanderfiel. Ich sah nicht wie ein Mädchen aus, das sich erbrechen musste, um das Gefühl zu bekommen, wenigstens etwas richtig zu machen. Ich sah nicht wie eine Tochter aus, die von ihrer Mutter gehasst und von ihrem Vater ignoriert wurde.
    Um ehrlich zu sein, ich wusste gar nicht mehr, wer ich eigentlich war.

Piper
    Im Laufe von vier Monaten wurde ich ein neuer Mensch. Früher hatte ich mit Ultraschallgeräten die Größe eines Fötus gemessen; jetzt konnte ich mit dem Maßband die grobe Öffnung für ein Fenster ermitteln. Früher hatte ich mit dem Stethoskop auf die Herztöne der Föten gelauscht; jetzt suchte ich den Putz mit einem Gummihammer nach Schwachstellen ab. Früher hatte ich Triple-Tests durchgeführt; nun baute ich Terrassengitter. Ich war fest entschlossen, so viel über Renovierungsarbeiten zu lernen, wie ich einst über Medizin gelernt hatte, und infolgedessen ging ich inzwischen als zertifizierter Bauhandwerker durch.
    Zuerst gestaltete ich das Badezimmer um, dann das Wohnzimmer. Ich trug die Teppiche in die Schlafzimmer nach oben und verlegte stattdessen einen Parkettboden. Diese Woche plante ich, die Küche neu zu streichen. War ein Raum fertig, kam er auf meiner Liste nach hinten, um irgendwann erneut umgebaut zu werden.
    Aber natürlich hatte mein Wahnsinn Methode. Einesteils wollte ich endlich mal wieder das Gefühl haben, kompetent zu sein – auf einem ganz neuen Gebiet, wo ich noch keinen Mist gebaut hatte. Andernteils bildete ich mir ein, ich könnte mich wieder wohlfühlen, wenn ich jedes noch so kleine Detail meiner Umgebung veränderte.
    Die Zuflucht meiner Wahl war ein Heimwerkermarkt, Aubuchon Hardware. Aus meinem Bekanntenkreis kaufte niemand dort ein. Während ich im Supermarkt oder in der Apotheke auf ehemalige Patienten treffen konnte, wanderte ich bei Aubuchon Hardware in vollkommener Anonymität an den Regalen vorbei. Drei-, viermal die Woche ging ich dorthin und schaute mir elektrische Hobel und Bohrer an, PVC -Rohre und ihre vornehmen Verwandten, die Kupferrohre. Ich setzte mich mit Farbtafeln auf den Boden und murmelte die Namen der Farben vor mich hin: Rivierablau, Johannisbeerrot,

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