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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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aufgeflogen. Ich spürte die Blicke Hunderter Augenpaare wie Na­delstiche und hörte wie überall mein Name geflüstert wurde. Stur sah ich geradeaus, während ich mich an einem Haufen rangelnder Jungen und einem Mädchen mit OI vorbeidrängte, das ein Kleinkind auf dem Arm trug. Hundert Schritte bis zum Aufzug … fünfzig … zwanzig …
    Sowie sich der Aufzug öffnete, schlüpfte ich hinein und drückte einen Knopf. Die Tür hatte sich schon fast geschlossen, da schob sich eine Krücke in den Spalt und hielt sie auf. Der Mann, bei dem wir uns am Vortag angemeldet hatten, stand auf der Schwelle; doch anstatt mich wieder freundlich anzulächeln, war sein Blick finster. »Nur damit Sie es wissen: Nicht meine Behinderung macht mein Leben zu einem ständigen Kampf«, sagte er, »sondern Menschen wie Sie.« Dann trat er einen Schritt zurück, und die Aufzugtüren schlossen sich.
    Ich schaffte es bis zu unserem Zimmer, schob die Schlüsselkarte hinein und erinnerte mich plötzlich, dass Amelia vermutlich noch schlief. Aber sie war Gott sei Dank verschwunden, frühstückte unten oder hatte sich unerlaubt von der Truppe entfernt, doch das interessierte mich im Augenblick nicht. Ich legte mich aufs Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Erst dann ließ ich meinen Tränen freien Lauf.
    Das war schlimmer, als vor einem Geschworenengericht von meinesgleichen zu stehen. Hier stand ich vor einem Geschworenengericht von deines gleichen.
    Ich war auf ganzer Linie gescheitert. Mein Mann hatte mich verlassen, und mein Verhalten als Mutter war vom amerikanischen Rechtssystem manipuliert. Ich weinte, bis meine Augen geschwollen waren und meine Wangen brannten. Ich weinte, bis nichts mehr in mir war. Dann setzte ich mich auf und ging zu dem kleinen Tisch am Fenster.
    Neben dem Telefon lagen ein Notizblock und eine kleine Mappe mit den Serviceleistungen des Hotels. Darin fanden sich auch zwei Postkarten und zwei Faxdeckblätter. Die nahm ich und griff nach dem Stift neben dem Telefon.
    Sean , schrieb ich, ich vermisse dich.
    Bevor er schließlich nicht mehr nach Hause kam, waren Sean und ich noch nie voneinander getrennt gewesen, es sei denn, man zählte die Woche vor unserer Hochzeit dazu. Damals war er zwar schon bei Amelia und mir eingezogen, doch ich wollte wenigstens den Anschein bräutlicher Vorfreude erleben; deshalb schlief er in den Tagen vor der Trauung bei einem Kollegen auf der Couch. Er kam damit kaum zurecht. Mehrmals ertappte ich ihn, dass er in seinem Streifenwagen draußen stand, während ich im Restaurant arbeitete, und wenn ich ihn dann gestellt hatte, schlichen wir in die Speisekammer und küssten uns leidenschaftlich. Oder er kam vorbei, um Amelia ins Bett zu bringen, und tat dann so, als schliefe er auf der Couch vor dem Fernseher ein. Das wird nicht funktionieren , sagte ich zu ihm, ich habe dich durchschaut. Bei der Zeremonie überraschte mich Sean mit einem Gelübde, das er selbst geschrieben hatte: Ich gebe dir mein Herz und meine Seele. Ich werde dich schützen und dir dienen. Ich werde dir ein Heim geben, und ich werde nie wieder zulassen, dass du mich rauswirfst. Alle lachten, ich eingeschlossen – sieh mal an, die kleine graue Maus Charlotte als große Verführerin, die so viel Macht über einen Mann hat! Aber Sean gab mir das Gefühl, als könnte ich einen Riesen mit einem Wort oder einer Berührung fällen. Es war ein mächtiges Gefühl und ein Erscheinungsbild von mir, von dem ich nie etwas geahnt hatte.
    Irgendwo im hintersten Winkel meines Verstands – da, wo auch die Hoffnung entsteht – glaubte ich, dass die schiefgelaufene Beziehung zwischen mir und Sean wieder geradezubiegen war. Das konnte gar nicht anders sein, denn wenn man jemanden liebt – erst recht, wenn man ein Kind mit ihm hat –, geht diese Bindung nicht plötzlich verloren. Es ist wie mit der Energie: Die geht auch nicht verloren, sie wird nur in etwas anderes umgewandelt. Und vielleicht hatte ich zurzeit einfach nur meine ganze Aufmerksamkeit auf dich gerichtet. Aber das war normal; in einer Familie bekam mal der, mal jener mehr Liebe ab. Nächste Woche könnte es Amelia sein, nächsten Monat Sean. Sobald der Prozess vorbei wäre, würde mein Mann wieder nach Hause kommen, und alles wäre wie früher.
    Es musste so sein, denn die Alternative wäre, zwischen deiner und meiner Zukunft wählen zu müssen. Und das konnte ich nicht ertragen.
    Der zweite Brief, den ich schreiben musste, fiel mir deutlich schwerer.
    Liebe

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