Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
ihn. Manchmal wollte ich einfach die Zeit zurückdrehen zu dem Augenblick, als er gefragt hatte: Was hältst du von einem Urlaub in Disney World? Aber meistens wunderte ich mich, wie der Kopf so schnell sein konnte, während das Herz hinterherhinkte. Selbst in den Momenten, wo ich vollkommen selbstbewusst und fest davon überzeugt war, dass ihr Mädchen und ich vollkommen alleine zurechtkamen, liebte ich ihn noch immer. Es war wie beim Verlust eines Körperteils, wie bei einem abgebrochenen Zahn, einem amputierten Bein: Man weiß es eigentlich besser; trotzdem tastet man mit der Zunge nach dem Zahn und hat Phantomschmerzen in dem fehlenden Glied.
    Also backte ich jeden Morgen, um zu vergessen. Ich backte, bis die Fenster beschlagen waren und allein der Duft an prachtvoll gedeckte Tafeln denken ließ, bis meine Hände wund waren und meine Fingernägel voller Mehl. Ich backte, bis ich nicht mehr daran dachte, warum eine Klage so elend langsam vorwärtsging und wie ich nächsten Monat die Kreditrate fürs Haus bezahlen sollte. Ich backte, bis es so heiß in der Küche war, dass ich nur noch ein Tanktop und Shorts unter meiner Schürze trug, bis ich mich selbst unter einer goldbraun gebackenen Kuppel sah und mich fragte, ob Sean sie rechtzeitig aufbrach, bevor ich erstickte.
    Deshalb war ich auch so erstaunt, als es mitten in einer Flotte von Beignets an der Tür klingelte. Ich erwartete niemanden – ich hatte nichts mehr zu erwarten, Punkt. Auf der Veranda stand ein Fremder, und das machte mir unvermittelt bewusst, dass ich nur halb angezogen war und Zucker im Haar hatte.
    »Sind Sie Miss Crèmeladen?«, fragte der Mann.
    Er war klein und rundlich, hatte ein Doppelkinn und eine dazu passende Halbglatze. Er hielt eine Plastiktüte mit meinem Mürbegebäck in der Hand, zusammengebunden mit einer grünen Schleife.
    »Ja, das bin ich«, sagte ich, »aber das ist natürlich nicht mein Name.«
    »Schon klar. Ich meinte …« Er schaute auf meine Kleider. »Sie sind die Bäckerin?«
    »Ja«, antwortete ich. »Ich bin die Bäckerin.« Nicht die Goldgräberin, nicht die Hexe, noch nicht einmal die Mutter. Etwas anderes, davon getrenntes, eine eigene Identität, glänzend und makellos wie rostfreier Edelstahl. Ich streckte die Hand aus. »Charlotte O’Keefe.«
    Der Mann trat auf die Fußmatte. »Ich möchte gerne Ihr Gebäck kaufen.«
    »Oh, dafür hätten Sie nicht zur Tür kommen müssen«, sagte ich. »Stecken Sie einfach ein paar Dollar in den Karton.«
    »Nein, Sie verstehen nicht. Ich möchte alles kaufen.« Er gab mir eine geprägte Visitenkarte. »Mein Name ist Henry DeVille. Mir gehört eine Reihe von Tankstellenmärkten in New Hampshire, und ich würde gerne Ihre Backwaren ins Sortiment aufnehmen.« Er errötete. »Größtenteils, weil ich selbst kaum die Finger davon lassen kann.«
    »Wirklich?«, sagte ich, und langsam stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
    »Vergangenen Monat wollte ich meine Schwester besuchen – sie wohnt zwei Straßen weit von hier –, aber ich habe mich verfahren, und plötzlich bekam ich einen Bärenhunger. Seitdem bin ich acht Mal die zwei Stunden hierher gefahren, um zu sehen, was Sie am jeweiligen Tag verkaufen. Ich bin vielleicht nicht der beste Geschäftsmann, aber wenn es um Gebäck geht, bin ich Experte.«
    Es dauerte eine Woche, bis ich dem Vorschlag zustimmte. Ich hatte weder die Zeit, noch verspürte ich die Lust, jeden Morgen durch ganz New Hampshire zu fahren und Muffins auszuliefern, ganz abgesehen von der Frage, wie viel sich in meiner Küche überhaupt produzieren ließ. Aber für jeden Einwand, den ich geltend machte, hielt Henry eine Lösung parat, und binnen einer Woche hatte Marin mir einen Vertragsentwurf aufgesetzt, dem ich zustimmen konnte. Zur Feier des Tages backte ich Henry einen Mandel-Blaubeer-Kuchen. Er saß an meinem Küchentisch, trank Kaffee und aß Kuchen mit einer frischgebackenen Geschäftsfrau. »Ich habe versucht, dem Geheimnis auf den Grund zu kommen«, sinnierte er, als ich den Vertrag unterschrieb. »Ihr Gebäck hat wirklich etwas Einmaliges. Es macht geradezu süchtig.«
    Ich lächelte ihn an und schob rasch das Papier über den Tisch, bevor er etwa seine Meinung änderte. Denn Henry DeVille hatte recht: Da war eine Zutat in meinem Gebäck, die höher dosiert war als jede andere, prägnanter als jedes Gewürz. Jeder würde sie herausschmecken und doch nicht benennen können. Diese Zutat hieß Reue, und sie entfaltete sich, wenn man es am

Weitere Kostenlose Bücher