Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Willow , schrieb ich.
Ich weiß nicht, wann du das hier lesen wirst oder was bis dahin geschehen sein wird. Aber ich muss es schreiben, denn mehr als allen anderen schulde ich dir eine Erklärung. Du bist das Wunderbarste, was mir je passiert ist, und auch das Schmerzvollste. Nicht wegen deiner Krankheit, sondern weil ich sie nicht heilen kann, und die Augenblicke, in denen du erkennst, dass du nie wirst tun können, was andere Kinder tun, sind furchtbar für mich.
Ich liebe dich, und ich werde dich immer lieben. Vielleicht mehr, als ich sollte. Das ist der einzige Grund, den ich dir für all das nennen kann. Ich dachte, wenn ich dich nur stark genug liebte, könnte ich Berge für dich versetzen, könnte dir Flügel wachsen lassen. Wie, war mir egal – Hauptsache, es passierte. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wen ich im Zuge dessen verletzen könnte, sondern nur, wen ich dadurch retten würde.
Als du zum ersten Mal in meinen Armen einen Knochenbruch erlitten hast, habe ich unendlich lange geweint. Ich glaube, seitdem habe ich immerzu versucht, diesen Augenblick wiedergutzumachen. Und deshalb kann ich jetzt nicht aufhören, obwohl ich es manchmal will und mich ständig sorge, woran du dich später einmal erinnern wirst. Werden es die Streitereien zwischen mir und deinem Vater sein? Die Veränderung deiner Schwester, die wir kaum noch wiedererkennen? Oder wirst du daran denken, dass du und ich mal eine Stunde lang beobachtet haben, wie eine Schnecke über unsere Veranda gekrochen ist? Oder dass ich dir mal ein Schulbrot in Form deiner Initialen mitgegeben habe? Wirst du dich erinnern, dass ich dich nach dem Baden in ein Handtuch gewickelt und einen Augenblick länger in den Armen gehalten habe, als zum Trocknen nötig war?
Ich habe immer davon geträumt, dass du irgendwann ein eigenständiges Leben führen wirst. Ich sehe dich als Ärztin, und ich frage mich, ob das wohl daran liegt, dass du schon bei so vielen gewesen bist. Ich stelle mir einen Mann vor, der dich wie verrückt liebt und vielleicht sogar ein Baby mit dir hat. Ich wette, du würdest für dein Kind genauso entschlossen kämpfen wie ich für dich.
Was ich mir jedoch nie habe vorstellen können, ist, wie du einmal zu dem werden sollst, was du sein könntest … bis man mir die Mittel an die Hand gegeben hat, um diese Brücke zu bauen. Zu spät habe ich erkannt, dass die Brücke aus Dornen gemacht und dass sie vielleicht nicht stark genug ist, um uns alle zu tragen.
Wenn es um Erinnerungen geht, dann sind die guten und die schlechten niemals im Gleichgewicht. Ich weiß nicht so recht, warum ich angefangen habe, dein Leben an den Augenblicken zu messen, in denen es am schwierigsten war – an den Operationen, Knochenbrüchen, Notfällen – anstatt an den Zeiten dazwischen. Anscheinend bin ich eine Pessimistin, vielleicht aber auch eine Realistin. Oder ich bin einfach nur eine Mutter.
Du wirst andere Leute über mich reden hören. Einiges davon wird gelogen sein, anderes wahr. Doch mir ist nur eines wichtig: Ich will, dass du nie wieder einen Bruch erleidest.
Insbesondere keinen zwischen dir und mir, denn der würde vielleicht nie verheilen.
Sean
Finanziell ging ich auf dem Zahnfleisch.
Nicht nur ging mein ganzes Gehalt für die Hypothek, die Raten fürs Auto und die Kreditkartenzahlungen drauf; ich musste auch noch auf alles Bargeld zurückgreifen, das ich irgendwann mal in eine Socke gestopft hatte. Ich zahlte neunundvierzig Dollar die Nacht im Sleep-Inn-Motel, wo ich seit dem Tag wohnte, da Charlotte mich an der Highwaybaustelle vor allen anderen zur Schnecke gemacht hatte.
Deshalb schlich ich mich auch in mein eigenes Haus, nachdem Charlotte mit den Mädchen übers Wochenende zu einem OI -Kongress gefahren war.
Es ist schon seltsam, als Fremder nach Hause zu kommen. Das war ein Gefühl wie … Wie soll ich das erklären? Wenn man in das Haus von jemand anderem kommt, dann riecht es – manchmal nach frischer Wäsche, manchmal nach Piniennadeln, aber in jedem Fall anders als im eigenen. Wie es zu Hause riecht, bemerkt man erst, wenn man eine Weile weg gewesen ist. Am ersten Abend bin ich herumgelaufen und habe einfach das Vertraute in mich aufgesaugt: Da war der Knauf auf dem Treppengeländer, der noch immer herunterfiel, weil ich es nie geschafft hatte, ihn zu reparieren; die Herde von Stofftieren auf deinem Bett; der Baseball, den ich auf einer Fahrt nach Fenville mit ein paar anderen Cops in den Neunzigern gefangen hatte, ein Homerun
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