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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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mein Aufsatz echt kurz ausfallen.«
    »Wir könnten uns auf dem Rest der Fahrt ja ein wenig Spaß gönnen«, schlug ich an einem Punkt vor. »Vielleicht in Memphis einen Zwischenstopp einlegen, in Graceland … oder in Washington, D.C.  …«
    »Oder wir könnten geradewegs durchfahren und es hinter uns bringen«, sagte Sean.
    Ich schaute ihn an. Das dunkelgrüne Armaturenlicht legte sich wie eine Maske um seine Augen.
    »Können wir zum Weißen Haus gehen?«, fragte Amelia. Ihr Interesse war geweckt.
    Ich stellte mir vor, wie schwül es jetzt in Washington war und wie wir dich in deinem schweren Verband die Stufen zum Lincoln Memorial hinaufschleppten. Wenn ich aus dem Fenster schaute, war die Straße ein langes schwarzes Band, das sich vor uns ewig ausrollte. »Dein Vater hat recht«, sagte ich.
    Als wir schließlich daheim ankamen, hatte sich bereits herumgesprochen, was passiert war. Auf der Arbeitsplatte in der Küche lag ein Zettel von Piper. Es handelte sich um eine Liste der Leute, die Essen vorbeigebracht und im Kühlschrank verstaut hatten. Piper hatte sie mit einem Wertungssystem versehen, wobei fünf Sterne für »zuerst essen«, drei Sterne für »besser als Chef Bo­yardee« und ein Stern für »Botulismusalarm« standen. Ich habe schon vor langer Zeit festgestellt, dass Menschen lieber helfen, indem sie dir einen Nudelauflauf vorbeibringen, als durch persönliches Anpacken. Man übergibt eine Schüssel und hat seine Pflicht getan – da braucht man sich nicht weiter zu engagieren, und das Gewissen bleibt rein. Essen ist der Ersatz für Beistand.
    Die Leute fragen mich ständig, wie ich zurechtkomme; doch die Wahrheit ist, sie wollen es gar nicht wissen. Sie schauen auf deine Gipsverbände – in Tarnmuster, Pink oder Neonorange. Sie sehen mir zu, wie ich den Wagen auslade und deine Gehhilfe mit den Tennisballfüßen aufbaue, damit wir über den Bürgersteig kriechen können, während hinter uns Kinder an Klettergerüsten turnen, Ball spielen und all die anderen Dinge tun, bei denen du zerbrechen würdest. Sie lächeln mich an, weil sie freundlich sein oder tolerant erscheinen wollen; aber sie denken die ganze Zeit über: Gott sei Dank. Gott sei Dank hat es sie erwischt und nicht mich.
    Wenn ich mich darüber beschwere, sagt dein Vater immer, dass ich fair sein soll. Manche Leute wollten ehrlich helfen. Ich erwidere dann, wenn sie wirklich helfen wollten, würden sie keine Nudelaufläufe bringen, sondern anbieten, Amelia zum Äpfelpflücken oder Eislaufen mitzunehmen, damit sie mal aus dem Haus kommt, oder sie würden uns Arbeit im Vorgarten abnehmen. Und eine echte Entlastung wäre es, wenn sie die Versicherungsgesellschaft anriefen und stundenlang über die Bezahlung diverser Rechnungen verhandelten, damit ich das nicht zu tun brauchte.
    Sean will nicht verstehen, dass die meisten Menschen, die uns ihre Hilfe anbieten, das nicht um unseret-, sondern um ihretwillen tun. Um ehrlich zu sein, nehme ich ihnen das nicht einmal übel. Das hat etwas mit Aberglauben zu tun: Wenn man einer Familie in Not hilft … Wenn man sich Salz über die Schulter wirft … Wenn man nicht unter einer Leiter hindurchgeht, dann ist man vielleicht gefeit. Dann kann man sich einreden, dass man selbst von so etwas verschont bleibt.
    Versteh mich nicht falsch. Ich beschwere mich nicht. Andere Menschen schauen mich an und denken: Die arme Frau. Sie hat ein behindertes Kind. Aber wenn ich dich anschaue, sehe ich das Mädchen, das sich schon mit drei Jahren den vollständigen Text von Queens »Bohemian Rhapsody« gemerkt hat, das Mädchen, das bei einem Gewitter immer zu mir ins Bett kriecht – nicht weil es selbst Angst hätte, sondern weil ich mich fürchte. Ich sehe das Mädchen, dessen Lachen in mir nachschwingt wie eine Stimmgabel. Ich habe mir nie ein nicht behindertes Kind gewünscht, denn dieses Kind wärst nicht du gewesen.
    Am nächsten Morgen telefonierte ich fünf Stunden lang mit der Versicherung. Den Weg von der Klinik in Florida zum Hotel hatten wir im Krankenwagen zurückgelegt. Krankenwagenfahrten waren jedoch von unserer Police nicht abgedeckt. Das Krankenhaus wiederum entließ einen Patienten im Spreizgips grundsätzlich nur dann, wenn er sich von einem Krankenwagen an sein Ziel transportieren ließ. Das war ein Teufelskreis; nur war ich offenbar die Einzige, die das so sah, und musste darum ein Gespräch führen, das schon ans Absurde grenzte. »Damit ich das richtig verstehe«, sagte ich zu dem

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