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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Booker hatten uns für ein paar Minuten allein gelassen, und zu meiner Überraschung brach der Damm nicht leicht, obwohl sich in sechsunddreißig Jahren eine wahre Flut von Fragen aufgestaut hatte. Ich starrte ihr Haar an – kraus und rot. Mein ganzes Leben lang hatte ich anders ausgesehen als die Übrigen in meiner Familie, und ich war immer davon ausgegangen, dass ich eine exakte Kopie meiner biologischen Mutter war. Aber ich ähnelte ihr nicht im Mindesten.
    Sie klammerte sich an ihre Handtasche. »Vor einem Monat habe ich einen Anruf vom Gericht erhalten«, sagte Juliet Cooper. »Es hieß, sie hätten Informationen für mich. Ich habe mir schon gedacht, dass so etwas eines Tages passieren würde.«
    »So …«, sagte ich. Meine Kehle war wie ausgetrocknet. »Wie lange weißt du es schon?«
    »Erst seit gestern. Die Beamtin hat mir deinen Brief schon vor einer Woche geschickt, aber bis gestern habe ich es nicht über mich gebracht, ihn zu öffnen. Ich war noch nicht bereit.« Sie schaute mich an. Ihre Augen waren braun. Hieß das, dass die meines Vaters blau gewesen waren, wie meine? »Was gestern im Saal geschehen ist – all diese Fragen über eine Mutter, die ihr Baby loswerden will –, das hat mir schließlich die Kraft gegeben, den Brief zu öffnen.«
    Plötzlich fühlte ich mich wie mit Helium vollgepumpt. Sicher hieß das, dass sie mich nicht wirklich hatte aufgeben wollen … genau so, wie Charlotte Willow nicht wirklich hatte aufgeben wollen.
    »Am Ende des Briefes habe ich dann deinen Namen gesehen und erschrocken festgestellt, dass ich ihn bereits aus dem Prozess kannte.« Sie zögerte. »Das ist ein ziemlich außergewöhnlicher Name.«
    »Ja.« Wie hast du mich stattdessen nennen wollen? Suzy, Margaret, Theresa?
    »Du bist sehr gut«, sagte Juliet Cooper schüchtern. »Im Ge­richtssaal, meine ich.«
    Wir waren knapp einen Meter voneinander entfernt. Warum über­brückte niemand von uns diese Distanz? Ich hatte mir diesen Augenblick so oft vorgestellt, und jedes Mal hatte es damit geendet, dass meine Mutter mich fest an sich drückte, als wollte sie wiedergutmachen, dass sie mich weggegeben hatte.
    »Danke«, sagte ich. Was mir nicht klar gewesen war, ist Folgendes: Die Mutter, die man fast sechsunddreißig Jahre lang nicht gesehen hat, ist nicht deine Mutter; sie ist eine Fremde. Das Erbgut sorgt nicht für rasche Nähe. Das war keine freudige Wiedervereinigung. Das war einfach nur unangenehm.
    Aber vielleicht erging es ihr ja genauso wie mir; vielleicht hatte sie Angst, ihre Grenzen zu überschreiten, oder vielleicht fürchtete sie, ich würde sie hassen, weil sie mich weggegeben hatte. Dann war es also mein Job, das Eis zu brechen. »Ich kann nicht glauben, dass ich dich so lange gesucht habe, und dann sitzt du einfach in meiner Jury«, sagte ich und lächelte. »Die Welt ist klein.«
    »Sehr klein«, stimmte sie mir zu und schwieg wieder.
    »Schon während der Befragung fand ich dich sympathisch«, sagte ich, um die Situation ein wenig aufzulockern, doch das funktionierte nicht. Und dann erinnerte ich mich an etwas, das Juliet Cooper während der Befragung gesagt hatte: Sie war Hausfrau gewesen. Sie war erst wieder zur Arbeit gegangen, als ihre Kinder die Highschool besuchten. »Du hast Kinder. Andere Kinder.«
    Sie nickte. »Zwei Mädchen.«
    Bemerkenswert. Ich hatte nicht nur meine biologische Mutter gefunden, sondern auch Geschwister. »Ich habe zwei Schwestern«, sagte ich laut vor mich hin.
    Bei diesen Worten änderte sich ihr Blick kolossal. »Sie sind nicht deine Schwestern.«
    »Tut mir leid. Ich wollte nicht …«
    »Ich wollte dir einen Brief schreiben. Ich wollte ihn zum Gericht nach Hillsborough schicken und sie bitten, ihn an dich weiterzuleiten«, sagte sie. »Als ich Charlotte O’Keefe gehört habe, ist alles wieder in mir hochgekommen. Es gibt einfach Babys, die besser nicht geboren werden.« Sie stand unvermittelt auf. »Ich wollte dir einen Brief schreiben«, wiederholte sie, »und dich bitten, mich nicht mehr zu kontaktieren.«
    Und zum zweiten Mal ließ mich meine biologische Mutter einfach so im Stich.
    Als Adoptivkind kannst du das glücklichste Leben der Welt haben, aber insgeheim fragst du dich immer, ob deine biologische Mutter dich vielleicht nicht aufgegeben hätte, wenn du niedlicher, braver und die Geburt vielleicht einfacher gewesen wäre. Natürlich ist das dumm – die Entscheidung, ein Kind zur Adoption freizugeben, wird Monate vorher getroffen –, aber

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