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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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wissen, ob der Vogel katholisch war?«
    »Wir könnten ihm ein Weihnachtslied singen«, hast du vorgeschlagen. »Das ist nicht richtig religiös. Das ist nur nett.«
    »Wie wäre es, wenn wir stattdessen etwas Nettes über Vögel sagen?«
    Dem hast du zugestimmt. »Es gibt sie in allen Farben des Regenbogens«, hast du gesagt.
    »Sie können gut fliegen«, fügte ich hinzu – dieser hier jedenfalls noch vor zehn Minuten. »Und sie machen schöne Musik.«
    »Und Vögel erinnern mich an Hühnchen, und Hühnchen schmeckt richtig gut«, hast du gesagt.
    »Okay, das ist gut genug.« Ich schaufelte Erde über den toten Vogel, und dann hast du dich hingehockt und ein Muster aus Gras auf das Grab gelegt. Seite an Seite kehrten wir wieder ins Haus zurück.
    »Amelia? Du kannst im Fernsehen schauen, was du willst.«
    Ich drehte mich zu dir um. »Ich wünsche mir nicht, du wärst tot«, gab ich zu.
    Als wir uns wieder auf die Couch setzten, hast du dich an mich gekuschelt wie früher, als du noch klein gewesen bist.
    Was ich dir sagen wollte, aber nicht gesagt habe, ist das: Nimm mich nicht zum Vorbild. Ich bin der letzte Mensch auf dieser Welt, zu dem du aufschauen solltest.
    Noch Wochen nachdem wir den dummen Vogel beerdigt hatten, wollte ich bei Regen nicht an diesem Fenster sitzen. Selbst jetzt noch ging ich nur ungern in diesen Teil des Gartens. Ich hatte Angst, dass ich etwas knirschen hören könnte, und wenn ich dann nach unten schaute, würde ich das zerbrochene Skelett sehen, die vertrockneten Flügel und den abgebrochenen Schnabel. Und darum schaute ich noch nicht mal in die Richtung.
    Die Leute wollen immer wissen, wie es sich anfühlt; also sage ich es dir: Wenn du dich das erste Mal schneidest, spürst du einen Stich, und dein Herz schlägt schneller, wenn du das Blut siehst, denn du weißt, dass du etwas getan hast, was du nicht hättest tun sollen, und doch bist du damit durchgekommen. Dann fällst du in eine Art Trance, denn es vernebelt einem die Sinne … diese leuchtend rote Linie wie ein Highway auf einer Karte, und du willst unbedingt wissen, wo er hinführt. Und Gott, diese Erleichterung … besser kann ich es nicht beschreiben. Es ist wie ein Luftballon, der an der Hand eines Kindes festgebunden ist. Irgendjemand schneidet ihn dann los, und er fliegt in den Himmel davon. Du weißt genau, dass der Ballon denkt: Ha! Ich gehöre dir also doch nicht , und gleichzeitig: Ob die da unten wohl eine Ahnung haben, wie toll die Aussicht von hier oben ist? Und dann fällt dem Ballon plötzlich wieder ein, dass er furchtbare Höhenangst hat.
    Wenn die Realität wieder durchkommt, schnappst du dir ein Stück Toilettenpapier oder ein Papiertaschentuch – Papier ist besser als ein Handtuch, denn die Flecken gehen niemals raus –, und du drückst es fest auf die Wunde. Du fühlst deine Scham; sie ist wie ein Hintergrundgeräusch zu deinem Puls. Was vorher an Erleichterung da war, gerinnt dann wie kalte Soße und wird zu einem harten Klumpen in deinem Bauch. Du machst dich im wahrsten Sinne des Wortes krank, denn du hast dir versprochen, dass das letzte Mal auch wirklich das letzte Mal war, und wieder einmal hast du dich selber enttäuscht. Also versteckst du die Beweise für deine Schwäche unter Schichten von Kleidung, selbst im Sommer, wenn niemand Jeans oder lange Ärmel trägt. Du wirfst die blutigen Papiertücher in die Toilette und schaust zu, wie das Wasser sich pink färbt, bevor du sie runterspülst, und wünschst dir, es wäre wirklich so einfach.
    Ich habe einmal einen Film gesehen, in dem ein Mädchen sich die Kehle aufgeschnitten hat, und anstatt zu schreien, war da nur dieses leise Seufzen gewesen – als würde es gar nicht wehtun, als wäre das endlich eine Chance loszulassen. Ich wusste, dass dieses Gefühl käme, und so wartete ich einen Moment zwischen meinem zweiten und dritten Schnitt. Ich schaute zu, wie das Blut sich auf meinem Schenkel sammelte, und ich versuchte, mich so lange wie möglich zurückzuhalten, bevor ich erneut die Klinge ansetzte.
    »Amelia?«
    Das war deine Stimme. Voller Panik blickte ich auf. »Was machst du denn hier?«, sagte ich und schlug die Beine übereinander, damit du nicht noch besser sehen konntest, was du vermutlich schon bemerkt hattest. »Hast du noch nie etwas von Privatsphäre gehört?«
    Du bist auf deinen Krücken gewankt. »Ich wollte nur meine Zahnbürste holen, und die Tür war nicht abgeschlossen.«
    »Doch, war sie«, erklärte ich. Aber ich musste

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