Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Mrs. O’Keefes Aufnahme ist das Hirngewebe jedoch kristallklar dargestellt. Das lässt auf eine demineralisierte Schädeldecke schließen, die wiederum bei mehreren Krankheiten vorkommt; OI ist eine davon. Der Arzt ist verpflichtet, sich die Röhrenknochen anzusehen, und so ist die Oberschenkelmessung integraler Bestandteil einer Ultraschalluntersuchung. In Mrs. O’Keefes Fall ist der Oberschenkel auch ein wenig zu kurz geraten. Die Kombination von verkürztem Oberschenkel und durchsichtiger Schädeldecke wiederum deutet stark auf Osteogenesis imperfecta hin.« Er ließ seinen Worten ein wenig Zeit zu wirken. »Hätte die medizinisch-technische Assistentin während der Aufnahme ein wenig fester auf Mrs. O’Keefes Bauch gedrückt, hätte sie sogar sehen können, wie das Gehirn unter dem Druck nachgibt.«
Ich schlang die Arme um meinen Bauch, als wärst du noch in mir.
»Wäre Mrs. O’Keefe Ihre Patientin gewesen, Dr. Thurber, was hätten Sie getan?«
»Ich hätte mehr Aufnahmen von der Brust gemacht und nach Rippenbrüchen gesucht. Ich hätte alle Röhrenknochen gemessen, um zu bestätigen, dass ich es mit einem Krankheitsbild zu tun habe. Und ganz gewiss hätte ich den Fall an eine Stelle überwiesen, die mehr Erfahrung mit solchen Dingen hat.«
Marin nickte. »Was würden Sie sagen, wenn Mrs. O’Keefes Gynäkologin nichts von alldem gemacht hat?«
»Dann«, antwortete Dr. Thurber, »würde ich sagen, dass sie als Ärztin einen großen Fehler begangen hat.«
»Keine weiteren Fragen mehr«, sagte Marin, setzte sich wieder neben mich und stieß einen lauten Seufzer aus.
»Was haben Sie denn?«, flüsterte ich. »Er ist doch sehr gut.«
»Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, dass Sie nicht der einzige Mensch mit Problemen sind?«, schnappte Marin.
Guy Booker erhob sich, um den Radiologen ins Kreuzverhör zu nehmen. »Man sagt ja ›Hinterher ist man immer klüger‹, nicht wahr, Dr. Thurber?«
»Das sagt man, ja.«
»Wie lange sind Sie schon als Gutachter vor Gericht tätig?«
»Seit zehn Jahren«, antwortete der Arzt.
»Und ich nehme an, Sie machen das umsonst, ja?«
»Nein, ich werde bezahlt – wie alle Gutachter«, erwiderte Thurber.
Booker schaute zu den Geschworenen. »Stimmt. Heutzutage ist eine Menge Geld im Umlauf, nicht wahr?«
»Einspruch«, sagte Marin. »Erwartet Mr. Booker wirklich, dass der Zeuge seine rhetorischen Fragen beantwortet?«
»Ich nehme das zurück«, sagte Booker. »Herr Doktor, ist es korrekt, dass es sich bei Osteogenesis imperfecta um eine sehr seltene Krankheit handelt?«
»Ja.«
»Es könnte also passieren, dass eine Gynäkologin in einer Kleinstadt in ihrem ganzen Berufsleben nie einen solchen Fall zu sehen bekommt?«
»Das stimmt ebenfalls«, antwortete Thurber.
»Ist es dann nicht fair zu sagen, nur ein Spezialist würde auf einer Ultraschallaufnahme nach OI suchen?«
»Es gibt ein altes Sprichwort unter Medizinern, wonach man Hufgetrappel hört und an ein Pferd statt an ein Zebra denkt«, stimmte Thurber ihm zu. »Aber eine ausgebildete Gynäkologin sollte sich eine Ultraschallaufnahme so genau ansehen, dass sie ein vorhandenes Problem erkennt. Sie mag vielleicht nicht in der Lage sein, es zu identifizieren, sollte aber eine Anomalie unterscheiden können, um die Patientin dann an einen Spezialisten zu überweisen.«
»Gibt es noch eine andere Krankheit außer Osteogenesis imperfecta, die ein solch klares Bild des Gehirns hervorrufen könnte?«
»Die tödliche Form von Hypophosphatasie; aber die ist extrem selten und ändert nichts daran, dass die Patientin hätte überwiesen werden müssen.«
»Dr. Thurber«, sagte Booker, »haben Sie so ein ungewöhnlich klares Bild des Gehirns auch mal bei einem gesunden Baby gesehen?«
»Gelegentlich. Der Schädel ist ja noch nicht zusammengewachsen. Wenn die Schallwellen zufälligerweise durch die entsprechenden Öffnungen gehen, erscheint so ein Bild. Allerdings hätte man dann nur ein solches Bild. Es ist nahezu unmöglich, bei einem gesunden Kind mehrere solcher Bilder zu bekommen. Wenn nur ein Bild derart klar ist, die anderen aber nicht, dann würde ich davon ausgehen, dass die Schallwellen durch solch eine Öffnung gedrungen sind. Im vorliegenden Fall sind jedoch alle Bilder des Gehirns glasklar.«
»Was ist mit der Länge der Oberschenkelknochen? Haben Sie je eine Verkürzung in der achtzehnten Woche gemessen und dann ein vollkommen gesundes Baby auf die Welt gebracht?«
»Ja. Manchmal weichen solche
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