Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
alten immer wieder notdürftig zu flicken.
Mit dem Geld könnten wir unsere Kreditkartenrechnungen bezahlen und die zweite Hypothek, die wir aufgenommen hatten, nachdem die Arztrechnungen in astronomische Höhen geschossen waren.
Mit dem Geld könnte ich Charlotte mal ausführen und mich neu in sie verlieben.
Aber ich glaubte wirklich, dass wir eine so gute Freundin wie Piper nicht für dieses Geld in den Ruin treiben durften. Doch was, wenn wir Piper nicht persönlich gekannt hätten, sondern nur als Ärztin? Hätte ich die Klage dann unterstützt? War ich so sehr dagegen, weil es um Piper ging, oder war ich gegen die Klage an sich?
Es gab so viele Dinge, die man uns nicht gesagt hatte:
Dass ich dir eine Rippe brechen würde, obwohl ich nichts anderes tat, als dich im Arm zu halten.
Wie weh es tat, deinen Gesichtsausdruck zu sehen, wenn du deiner Schwester beim Schlittschuhlaufen zuschautest.
Dass die Ärzte dir erst einmal wehtun mussten, um dir helfen zu können, nämlich wenn sie dir den Knochen richteten oder wenn sie deine Gestelle anpassten und dich erst einmal darin spielen ließen, bis du Blasen hattest, damit sie dann die richtige Einstellung vornehmen konnten.
Und dass deine Knochen nicht das einzig Brüchige waren. Meine Finanzen, meine Zukunft und meine Ehe hatten feine Haarrisse bekommen, die mir jahrelang nicht aufgefallen waren.
Plötzlich wollte ich dringend deine Stimme hören. Ich holte mein Handy aus der Tasche und begann zu wählen, doch es piepte nur. Der Akku war leer. Ich starrte auf das Handy. Natürlich hätte ich das Ladegerät aus dem Wagen holen können, doch dann hätte ich in der Eingangshalle wieder Spießruten laufen müssen. Während ich noch über das Für und Wider nachdachte, öffnete sich die Tür meiner Zuflucht, und vom Flur drang Lärm herein, gefolgt von Piper Reece.
»Du wirst dir ein eigenes Versteck suchen müssen«, sagte ich, und sie erschrak.
»Du hast mir einen Heidenschreck eingejagt«, keuchte sie. »Woher weißt du, dass ich ein Versteck suche?«
»Weil ich aus dem gleichen Grund hier bin. Solltest du nicht im Saal sein?«
»Die Verhandlung wurde unterbrochen.«
Ich zögerte; dann entschied ich, dass ich ohnehin nichts zu verlieren hatte. »Wie läuft es da drinnen?«
Piper öffnete den Mund zu einer Antwort, überlegte es sich aber anders. »Ich lasse dich mal weitertelefonieren«, murmelte sie und griff an den Türknauf.
»Es funktioniert nicht«, sagte ich, und sie drehte sich um. »Mein Handy. Der Akku ist leer.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Erinnerst du dich noch an die Zeit, als es keine Handys gab? Als wir noch nicht ständig fremde Telefonate mit anhören mussten?«
»Einige Dinge sollten besser privat bleiben«, sagte ich nickend.
Piper sah mir in die Augen. »Es ist furchtbar da drin«, gab sie zu. »Der letzte Zeuge war ein Versicherungsfachmann, der die ungefähren Kosten für Willows Betreuung bestimmt und auf ihre zu erwartende Lebensdauer hochgerechnet hat.«
»Was hat er gesagt?«
»Dreißigtausend im Jahr.«
»Nein«, sagte ich. »Ich meine, wie lange wird sie leben?«
Piper zögerte. »Ich mag es nicht, von Willow in Zahlen zu reden … als wäre sie nur ein Teil der Statistik.«
»Piper.«
»Es gibt keinen Grund, warum sie nicht eine ganze normale Lebenserwartung haben sollte«, antwortete sie.
»Aber kein normales Leben«, erwiderte ich.
Piper lehnte sich an die Wand. Ich hatte das Licht nicht eingeschaltet – schließlich wollte ich nicht, dass jemand auf den Raum aufmerksam wurde –, und in dem Dämmer wirkte ihr Gesicht alt und müde. »Vergangene Nacht habe ich von dem Abend geträumt, als wir euch zum ersten Mal bei uns zum Essen hatten, damit du Charlotte kennenlernst«, sagte sie.
Ich wusste es noch, als wäre es gestern gewesen. Ich war damals so nervös, dass ich mich auf dem Weg zu Piper verfuhr. Bis dahin hatte mich noch niemand zu sich nach Hause eingeladen, dem ich gerade eine Verwarnung wegen überhöhter Geschwindigkeit geschrieben hatte, und ich wäre auch nicht hingefahren, wenn ich an dem Tag, an dem ich Piper verwarnt hatte, nicht meine Freundin im Bett meines besten Freundes erwischt hätte. Als Piper eine Woche später anrief und mich fragte, ob ich nicht zum Essen komme wolle, dachte ich einfach, es kann ja nicht schaden. Eine spontane, gedankenlose, schwermütige Entscheidung.
Als ich bei Piper ankam und Charlotte vorgestellt wurde, hielt sie mir zur Begrüßung die Hand
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