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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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lieben, wenn du mit sieben Köpfen und einem Schwanz zur Welt kämst. Ich würde dich auch lieben, wenn du nie atmen, nie die Augen öffnen und mich ansehen würdest. Ich liebte dich ja jetzt schon. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass mit deinen Knochen etwas nicht stimmte.
    Ich löschte die Suchhistorie, damit Charlotte nicht zufällig über das Foto stolperte, wenn sie das nächste Mal im Netz surfte, und ging leise nach oben. Im Dunkeln zog ich mich aus und schlüpfte neben deine Mutter ins Bett. Als ich die Arme um sie schlang, rückte sie näher an mich heran. Ich legte meine Hand auf ihren Bauch, und du hast getreten, als wolltest du mir sagen, ich solle mir keine Sorgen machen und kein Wort von dem glauben, was ich gelesen hatte.
    Am nächsten Tag, nach einer weiteren Ultraschalluntersuchung und einer Röntgenaufnahme, bat Dr. Gianna Del Sol uns zur Nachbesprechung in ihr Büro. »Auf den Ultraschallaufnahmen ist ein demineralisierter Schädel zu sehen«, erklärte sie. »Ihre Röhrenknochen liegen drei Standardabweichungen unter Normmedian, und sie sind auf eine Art angewinkelt und verdickt, die sowohl auf neue als auch auf verheilende Brüche hindeutet. Darum gehen wir davon aus, dass Ihr Kind unter Osteogenesis imperfecta leidet.«
    Charlotte schob ihre Hand unter meine.
    »Aufgrund der Tatsache, dass wir multiple Frakturen sehen, müssen wir von Typ  II oder Typ  III ausgehen.«
    »Ist einer von beiden schlimmer?«, fragte Charlotte. Ich schaute in meinen Schoß, denn ich kannte die Antwort be­reits.
    »Kinder vom Typ  II überleben die Geburt für gewöhnlich nicht. Typ  III wiederum leidet unter beträchtlichen Behinderungen, und auch ein früher Tod ist nicht auszuschließen.«
    Charlotte brach erneut in Tränen aus. Dr. Del Sol reichte ihr eine Box Taschentücher.
    »Man kann nur sehr schwer sagen, ob ein Ungeborenes Typ  II oder Typ  III hat. Typ  II kann man manchmal ab der sechzehnten Woche beim Ultraschall feststellen, Typ  III ab der achtzehnten. Aber jeder Fall ist anders, und bei Ihren ersten Ultraschallaufnahmen waren keine Brüche zu sehen. Aus diesem Grund können wir keine eindeutige Frühdiagnose stellen – nur dass die Krankheit im besten Fall schwerwiegend und im schlimmsten Fall tödlich sein wird.«
    Ich schaute sie an. »Also selbst wenn Sie zu der Überzeugung gelangen, das Kind habe Typ  II und demnach keinerlei Überlebenschance, könnte es trotzdem am Leben bleiben?«
    »Auch das ist schon vorgekommen«, sagte Dr. Del Sol. »Ich habe einmal eine Fallstudie über Eltern gelesen, bei deren Kind man Typ  II diagnostiziert hatte. Sie haben sich entschlossen, die Schwangerschaft trotzdem fortzusetzen und schließlich ein Kind vom Typ  III bekommen. Kinder vom Typ  III sind jedoch schwerstbehindert. Im Laufe ihres Lebens werden sie Hunderte von Knochenbrüchen haben. Vielleicht werden sie niemals gehen können. Es kann zu Problemen mit den Atemorganen und den Gelenken kommen, zu Knochenschmerzen, Muskelschwäche und Schädel- sowie Wirbelsäulendeformierungen.« Sie zögerte. »Sollten Sie einen Abbruch in Erwägung ziehen, gibt es Stellen, die Ihnen helfen können.«
    Charlotte war in der siebenundzwanzigsten Woche ihrer Schwangerschaft. Was für eine Klinik machte in der siebenundzwanzigsten Woche noch einen Schwangerschaftsabbruch?
    »Wir sind nicht an einem Abbruch interessiert«, sagte ich und schaute auf der Suche nach Bestätigung zu Charlotte, doch die sah die Ärztin an.
    »Ist hier je ein Baby mit Typ  II oder Typ  III geboren worden?«, fragte sie.
    Dr. Del Sol nickte. »Vor neun Jahren. Ich war damals noch nicht hier.«
    »Wie viele Brüche hatte das Baby bei der Geburt?«
    »Zehn.«
    Da lächelte Charlotte zum ersten Mal seit gestern Abend. »Meins hat nur sieben«, sagte sie. »Das ist besser, stimmt’s?«
    Dr. Del Sol zögerte wieder. »Das Baby«, sagte sie, »hat nicht überlebt.«
    Eines Morgens, als Charlottes Wagen in der Werkstatt war, habe ich dich zur Physiotherapie gefahren. Ein wirklich sehr nettes Mädchen mit einer Lücke zwischen den Zähnen – eine Molly oder Mary, ich vergaß den Namen immer – ließ dich auf einem großen roten Ball balancieren, was dir gefiel, und Situps machen, was du gar nicht mochtest. Jedes Mal, wenn du dich auf der Seite deines verheilenden Schulterblatts zusammenrollen musstest, hast du die Lippen aufeinandergepresst, und Tränen liefen dir aus den Augen. Ich glaube, du hast das gar nicht bemerkt; aber

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