Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
noch tausend Grautöne.
Charlotte war überrascht, als ich sie in den Arm zog und küsste. Zuerst wich sie mit dem Kopf zurück und schaute mich an. Dann schmiegte sie sich an mich und ließ sich von mir auf die schwindelerregende Straße führen, die wir schon tausend Mal genommen hatten. »Ich liebe dich«, sagte ich. »Glaubst du das?«
Charlotte nickte, und kaum hatte sie das getan, da packte ich sie bei den Haaren, zog ihren Kopf nach hinten und drückte sie in die Matratze. »Sean, du zerquetschst mich«, keuchte sie, und ich presste ihr die Hand auf den Mund und riss mit der anderen ihre Pyjamahose herunter. Mit Gewalt drang ich in sie ein, während sie sich wehrte und sich aufbäumte vor Überraschung oder vielleicht auch vor Schmerz. »Es ist egal, wie es nach außen hin aussieht«, flüsterte ich, und ihre eigenen Worte trafen sie wie ein Peitschenhieb. »Tief in deinem Herzen weißt du, dass ich dich liebe.«
Ich hatte damit erreichen wollen, dass Charlotte sich wie Dreck fühlte; doch stattdessen fühlte ich mich wie Dreck. Also wälzte ich mich von ihr herunter und riss meine Shorts hoch. Charlotte wandte sich von mir ab und rollte sich zu einem Ball zusammen. »Du Scheißkerl«, schluchzte sie. »Du verdammter Scheißkerl.«
Sie hatte recht, das war ich. Das musste ich auch sein, sonst hätte ich nicht tun können, was ich als Nächstes tat: Ich ging nach draußen zum Wagen und holte die Papiere aus dem Handschuhfach. Dann saß ich den Rest der Nacht in der dunklen Küche und starrte auf den Text, als würden die Worte sich plötzlich in etwas verwandeln, das ich leichter akzeptieren konnte. Für jede Zeile, an die Marin Gates einen Zettel geklebt hatte, zum Zeichen, dass ich dort unterschreiben solle, kippte ich ein Glas Whiskey runter.
Schließlich schlief ich am Küchentisch ein, wachte aber schon vor der Sonne wieder auf. Als ich mich auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer zurückschlich, schlief Charlotte noch. Sie lag auf der Seite, noch immer zusammengerollt. Laken und Decke lagen zerknüllt am Fußende. Sacht deckte ich sie damit zu, wie ich es manchmal auch bei dir tat, wenn du sie weggestrampelt hattest.
Die unterschriebenen Papiere legte ich neben Charlotte aufs Kopfkissen. Oben hatte ich einen Zettel angeklammert. Es tut mir leid , stand da. Verzeih mir.
Dann fuhr ich zur Arbeit und fragte mich die ganze Zeit, ob diese Notiz an Charlotte, an dich oder an mich selbst gerichtet war.
Amelia
Ende August 2007
Sagen wir es rundheraus: Wir waren richtige Landeier. Meine Eltern glaubten offenbar, es würde sich später als großer Vorteil für mich erweisen, dass ich auf dem Land aufwuchs. (Warum? Weil ich wusste, wie Gras roch? Weil wir unsere Haustür nicht hatten abschließen müssen?). Aber ich hätte doch gerne ein Mitspracherecht bei der Frage gehabt, wo wir uns niederließen. Hast du eine Ahnung, was es bedeutet, kein Kabelmodem bekommen zu können, obwohl selbst Eskimos eines haben? Oder was es heißt, die Schulkleidung bei Wal-Mart kaufen zu müssen, weil das nächste Einkaufszentrum anderthalb Stunden entfernt ist? Als wir vergangenes Jahr in Sozialkunde grausame und ungewöhnliche Strafen durchgenommen haben, habe ich einen ganzen Aufsatz darüber geschrieben, wie es ist, in einem Dorf zu leben, wo die Einkaufsmöglichkeiten gegen null tendieren. Und obwohl alle in meiner Klasse mit mir übereinstimmten, habe ich nur ein »B« bekommen, weil mein Lehrer genau die Art von Hippie ist, die Bankton in New Hampshire für den besten Ort der Welt hält.
Allerdings mussten eines Tages alle Planeten in einer Linie gestanden haben, denn meine Mutter hatte einer Fahrt zu Target zugestimmt, zusammen mit dir, Piper und Emma.
Es war Pipers Idee gewesen. Kurz vor Beginn eines neuen Schuljahres beschloss sie manchmal, mit ihrer Tochter auf große Shoppingtour zu gehen. Meine Mutter musste für gewöhnlich erst überzeugt werden mitzugehen, denn wir schienen nie genug Geld zu haben. Jedes Mal kam es dazu, dass Piper mir etwas kaufte, und meine Mutter fühlte sich dann schuldig und schwor, nie wieder mit Piper shoppen zu gehen. Was ist denn schon dabei? , sagte Piper dann immer. Ich mache den Mädchen eben gern eine Freude. Ja, was war denn schon dabei? Wenn Piper meine Garderobe ein wenig aufstocken wollte, dann würde ich ihr dieses kleine Vergnügen nicht verweigern.
Als Piper an diesem Morgen anrief, dachte ich allerdings, meine Mutter würde sich sofort auf die Gelegenheit stürzen. Du warst
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