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Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care

Titel: Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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abzufangen.
    Ich hatte es kommen sehen. Ich hatte es geahnt, und so rannte ich bereits, als du dich umdrehtest. Ich trat aufs Eis, das noch viel zu frisch war, um ein Gewicht zu tragen, und spürte, wie es unter meinem Stiefel brach. Sofort war er mit Eiswasser gefüllt, aber ich konnte die Arme um dich schlingen und dich auffangen.
    Ich war fast bis zur Hüfte nass, hielt dich über dem Unterarm wie einen Sack Mehl, und dir hatte es den Atem verschlagen. Ich wankte zurück, zog meinen Fuß aus dem Schlamm und dem Schilf und setzte mich erst mal hin. »Alles in Ordnung mit dir?«, keuchte ich. »Ist etwas gebrochen?«
    Kurz hast du in dich hineingehorcht und dann den Kopf geschüttelt.
    »Was hast du dir nur dabei gedacht ? Du solltest es doch wirklich besser wissen …«
    » Amelia darf auf dem Eis gehen«, hast du mit dünner Stimme gesagt.
    »Zunächst einmal bist du nicht Amelia. Und zweitens ist das Eis noch nicht stark genug.«
    Du hast dich umgedreht. »Genau wie ich.«
    Sanft drehte ich dich so, dass du auf meinem Schoß sitzen konntest, ein Bein rechts, ein Bein links … wie auf einer Wippe, nur dass du nie auf eine gedurft hast.
    »Das ist so untypisch für dich«, sagte ich mit fester Stimme. »Willow, du bist der stärkste Mensch, den ich kenne.«
    »Und trotzdem wünschst du dir, ich würde nicht im Rollstuhl fahren oder ständig ins Krankenhaus müssen.«
    Sean war überzeugt gewesen, dass du ganz genau spürtest, was um dich herum vorging. Ich wiederum hatte in meiner Naivität geglaubt, nach unserem Gespräch vor ein paar Monaten würden meine Taten schon für sich sprechen, auch wenn du Zweifel an meinen Worten gehabt hättest. Aber ich hatte mir Sorgen über die Dinge gemacht, die du würdest hören müssen – nicht über die unterschwellige Botschaft, die du zwischen den Zeilen lesen könntest. »Erinnerst du dich noch, wie ich dir gesagt habe, dass ich Dinge würde sagen müssen, die ich nicht so meine? Mehr ist da nicht dran, Willow.« Ich zögerte. »Stell dir einfach mal vor, du bist in der Schule, und deine Freundin fragt dich, ob dir ihre Turnschuhe gefallen; sie gefallen dir aber nicht. Du würdest ihr doch nicht sagen, dass du sie hässlich findest, oder? Das würde sie nämlich traurig machen.«
    »Das ist aber gelogen.«
    »Ich weiß, und zu lügen ist auch meistens falsch, es sei denn, man tut es, um jemanden nicht zu kränken.«
    Du hast mich angestarrt. »Aber du kränkst mich.«
    Das Messer in meinem Bauch wurde herumgedreht. »Das will ich aber nicht.«
    Du hast nachgedacht. »Dann ist das also so, wie wenn Amelia Gegenteiltag spielt?«
    Amelia hatte das erfunden, als sie so alt gewesen war wie du jetzt. Auch damals war sie schon schwierig gewesen. Sie weigerte sich, ihre Hausaufgaben zu machen, und wenn wir mit ihr schimpften, lachte sie nur laut und erklärte, heute sei Gegenteiltag und die Aufgaben seien längst erledigt. Oder sie terrorisierte dich und nannte dich Glasarsch, und wenn du dann heulend zu uns gelaufen kamst, erklärte sie, am Gegenteiltag bedeute Glasarsch dasselbe wie Prinzessin. Mir ist nie klar geworden, ob Amelia den Gegenteiltag erfunden hat, weil sie besonders fantasievoll oder besonders subversiv war.
    Aber vielleicht war genau das die Lösung für das Chaos, das durch die Klage über uns hereingebrochen war. Wie Rumpelstilzchen konnten wir aus einer Lüge Gold spinnen. »Genau«, meinte ich. »Wie beim Gegenteiltag.«
    »Okay«, hast du gesagt. »Ich wünschte auch, du wärest nie geboren worden.«
    Als Sean und ich anfangs miteinander ausgegangen sind, habe ich ihm immer irgendwelche Leckereien in den Briefkasten gelegt. Kekse in Form seiner Initialen, Nussecken und Mandelpasteten. Ich nahm den Kosenamen meine Süße wörtlich. Ich stellte mir vor, wie er in den Briefkasten griff, um seine Post herauszuholen, und stattdessen seine Finger am Zuckerguss festklebten. »Wirst du mich auch noch lieben, wenn ich dreißig Pfund zugelegt habe?«, hat Sean mich immer gefragt, und ich habe gelacht. »Wie kommst du denn darauf, dass ich dich liebe?«, habe ich erwidert.
    Natürlich habe ich ihn geliebt; aber es ist mir schon immer leichtergefallen, Liebe zu zeigen, als darüber zu reden. Das Wort erinnerte mich an Pralinen: klein, wertvoll und fast unerträglich süß. Ich erstrahlte in seiner Gegenwart; in seiner Umarmung fühlte ich mich wie eine Sonne. Aber meine Gefühle für ihn in Worte zu fassen nahm dem Gefühl irgendwie seine Kraft. Es war, wie einen

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