Zerbrochene Traeume
„Hinauf jetzt in dein
Zimmer! Wenn du noch nicht siebzehn wärst, dann hättest du eine von mir
gefangen! Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du kleine Göre! Da muss ich
mich - gerade den halben Arbeitstag vorüber - schon so aufregen! Du verlässt
das Haus nicht mehr! Und bevor du blöd da stehst, hilf lieber deiner Mutter in
der Küche! Und dann setz dich endlich auf deinen Hosenboden und tu was!“
Mit diesen Worten verließ Vater
das Haus und knallte wütend die Tür hinter sich zu. Am liebsten wäre ich auf
der Stelle fortgelaufen, egal wohin, nur irgendwohin. Nur weg von hier. Als ich
an der Küche vorbeikam, um hinauf in mein Zimmer zu gehen, sagte Mutter: „Hör
auf deinen Vater!“
Du kannst mich mal!
Ich stapfte hoch in mein Zimmer.
Nachdem ich nur wenige Augenblicke auf meiner Couch gesessen und zum Fenster
hinaus gestarrt hatte, kam ich zu dem Entschluss, dass ich wirklich dringend
hier weg musste, wenn ich nicht vollkommen meine Nerven verlieren wollte. Also
lief ich in schnellen Schritten wieder hinunter, schnappte mir meine Jacke und
rannte einfach aus dem Haus. Meine Mutter hatte sofort wieder die Haustür
geöffnet und rief, außer sich vor Wut: „Jennifer! Jennifer, komm auf der Stelle
zurück! Jennifer, wenn dein Vater davon erfährt, dann kannst du was erleben!
Jennifer!“
Ihre Stimme wurde leiser. Mein
Atem fand langsam seinen regelmäßigen Rhythmus wieder. Sie konnte mich nicht
aufhalten! Niemand konnte das!
Nachdem ich eine ganze Weile umher
geirrt war, setzte ich mich erschöpft auf eine Bank. Ich war müde geworden,
durch die Aufregung und durch das viele Laufen. Ich wollte ein wenig auszuruhen
und legte mich quer auf die abgenutzte Holzbank am Rande eines Parks. Die
Blätter eines Baumes über mir wehten sachte im Wind. Bald fielen mir die Augen
zu.
2.
Eine laute Hupe riss mich aus dem
Schlaf. Verwundert blickte ich mich um. Wo war ich? Langsam fiel es mir wieder
ein: Ich war nach dem Streit fortgelaufen. Blinzelnd streckte ich mich. Ich
hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand. Es herrschte dichter
Verkehr auf den Straßen, nicht sehr weit von mir entfernt wurde an einer
Kreuzung gehupt, Reifen quietschten, ein Krachen. Auf der gegenüberliegenden
Straßenseite tummelten sich eine Menge Leute, darunter hauptsächlich
Jugendliche, vor den Bars und Kneipen. Die Gegend hier war verschmutzter und
dreckiger als die, die ich kannte. Da bereits die bunten Lichter der
Einkehrungen eingeschaltet waren, schloss ich daraus, dass es mittlerweile
Abend sein musste. Ich hatte doch eine ganze Weile geschlafen!
Plötzlich fielen mir zwei
aufgedonnerte Mädchen auf, die Spitzenkleidung und Strapse trugen, die ihre
Körper nur andeutungsweise bedeckten. Ein Wagen hielt, als eine von ihnen
einstieg und mit einem älteren Herrn davon brauste. Es gab mir zu denken, dass
sie kaum älter schien, als ich.
Etwas weiter entfernt bahnte sich
eine Schlägerei an. Ein Mann schlug einen Jungen, der nicht schüchtern war und
zum Gegenangriff überging. Doch schon bald lag er blutend auf dem Boden und
rührte sich nicht mehr.
Ich zuckte mit den Schultern und
stand schließlich auf. Ich überlegte, was ich nun tun sollte, denn nach Hause
wollte ich auf keinen Fall. Zumindest noch nicht jetzt - der Abend war noch so
jung, und wenn ich nun daheim ankommen würde, müsste ich erst einmal die
Standpauken meiner Eltern über mich ergehen lassen, das schadenfrohe Grinsen
meiner Schwester ertragen und schließlich mein Abendessen auf meinem Zimmer
essen. Dazu war ich im Augenblick wirklich nicht in Stimmung.
Ich machte mich auf den Weg
geradeaus auf eine Bar zu, aus der laute Musik schrillte. Als ich eintrat,
stieg mir ein Hauch Zigarettenrauch und Alkoholgeruch in die Nase. Seltsame Gestalten
saßen an den Tischen. Ein merkwürdiges Stimmengewirr war zu hören, das
fremdartig und sonderbar wirkte. Ich ließ mich auf einem Barhocker an der Theke
nieder und bestellte mir eine Cola.
Der dicke Barkeeper mit dem
unsympathischen Gesichtsausdruck knallte sie derart vor mich auf den Tisch,
dass sie beinahe übergeschwappt wäre.
„Hi!“
Ich blickte nach links und sah in
die lächelnden, braunen Augen eines nicht schlecht aussehenden, jungen Mannes.
„Ich habe dich hier noch nie
gesehen!“
Musternd glitten seine Augen an
meinem Körper hinunter und wieder hinauf, bis sie in meinem Gesicht verharrten
und mich erwartungsvoll anstarrten.
„Nein, ich bin hier zum ersten
Mal.“
Er nickte
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