Zero Day
erinnern.
Inzwischen jedoch bestanden die blauen Augen nur noch aus Pupillen. Als leblos konnte man sie nicht bezeichnen, und doch zeigte sich darin kein Funke echten Lebens mehr. Sie wirkten hohl und stumpf. Puller sah sich in der Enge des kleinen, langweiligen Zimmerchens um, das Hunderten ähnlicher Zimmer in diesem Haus glich, und gelangte zu dem Schluss, dass sein Vater in vieler Hinsicht schon zu den Toten zählte.
»Irgendwelche Befehle, Sir?«, fragte er.
Sein Vater antwortete nicht sofort. Häufig erhielt Puller gar keine Antwort. Erstaunlicherweise reagierte sein Vater diesmal. »Es ist vorbei, Schütze Arsch.«
»Was denn, Sir?«
»Aus. Vorbei. Aus und vorbei.«
Puller trat einen halben Schritt näher. »Ich kann Ihren Ausführungen nicht folgen, Sir.«
Sein Vater hatte den Kopf gesenkt, aber nun hob er den Blick wieder zu seinem Sohn. Die Augen glichen bläulichem Eis, das in der Sonne schmolz. »Ich weiß es aus der Gerüchteküche.«
»Der Gerüchteküche?«
»Man muss ihr Beachtung schenken. Sie verbreitet nichts als Blödsinn, aber am Ende machen sie einen damit fertig.«
Unwillkürlich fragte sich Puller, ob jetzt auch Paranoia zu den Gebrechen seines Vaters zählte. Vielleicht war sie unterschwellig schon immer da gewesen. »Wer will Sie fertigmachen, General?«
Fahrig schwang den Vater den Arm durchs Zimmer, als wären »sie« zugegen. »Die Leute, die das Sagen haben«, antwor tete er. »Diese Halunken, die in einer Armee mutiger Männer nur als Erbsenzähler zur Last fallen.«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand die Absicht hat, Sie fertigzumachen, Sir.« Jetzt bereute Puller, den Besuch heute eingeplant zu haben.
»Doch, natürlich, Schütze Arsch.«
»Aber inwiefern, Sir? Sie sind Drei-Sterne-General.« Puller erkannte den Fehler zu spät. Sein Vater war als Drei-Sterne-General in Pension gegangen, als Generalleutnant. Für jeden anderen Uniformierten hätte dieser Karriereverlauf als beachtliche Errungenschaft gegolten. Doch Puller senior hatte dem winzigen Prozentsatz von Soldaten angehört, der felsenfest erwartete, bei allem, was sie anpackten, den Gipfel zu erreichen.
In der Armee war weithin bekannt, dass Puller senior den vierten Stern hätte erhalten müssen . Sogar mit etwas noch Begehrterem hätte er ausgezeichnet werden sollen: der Medal of Honor. Auf den Schlachtfeldern Vietnams hatte er sie sich verdient, daran gab es keinen Zweifel. Aber in der Armee ging es nicht ausschließlich um Tapferkeit im Feld, sondern fernab der Schlachtfelder auch um Politik. Und es war nun mal so, dass Puller senior etlichen wichtigen Leuten, die damals auf seine Karriere Einfluss ausübten, auf die Füße getreten hatte. Deshalb blieben der vierte Stern und die Ehrenmedaille ihm versagt. Wenngleich es mit seiner Karriere dessen ungeachtet weiter bergauf ging, war es ein flacherer Verlauf, sodass er die höchsten der angestrebten Ziele verfehlte. Er erreichte sie einfach nicht. Er hatte drei Sterne und sämtliche Orden außer der Auszeichnung, die er sich am meisten gewünscht hatte.
»Es ist wegen ihm«, schnauzte Puller senior.
»Wem?«
»Ihm.«
»Ich weiß nicht, wen Sie meinen.«
»Den ehemaligen Major Robert J. Puller, ehedem Luftwaffe der Vereinigten Staaten. Unehrenhaft entlassen. Vor einem Militärgerichtshof des Hochverrats als schuldig befunden. Lebenslänglich eingebuchtet im USDB . Man gibt mir die Verantwortung für das, was der Lump angestellt hat.« Er verstummte und rang wütend um Atem. »So was verbreitet die Gerüchteküche«, fügte er hinzu. »Diese Schweinehunde …«
Enttäuschung verzerrte Pullers Gesicht. Sein Bruder war erst lange nach der Pensionierung ihres Vaters verurteilt worden. Trotzdem maß der Alte die Schuld an dem Karriereknick seinem Sohn zu, Pullers Bruder. Im Feld hatte Puller senior den Kelch der Verantwortung nie an sich vorbeigehen lassen. Er hatte Vorwürfe ebenso eingesteckt wie Lob. Doch außerhalb des Militärs hatte es sich anders verhalten. Da hatte er ewig den Zeigefinger erhoben, stets anderen Personen die unsinnigste Schuld zugewiesen. Er konnte kleinlich und nachtragend, hartherzig und ungerecht, roh und unnachgiebig sein. Diese persönlichen Untugenden bezogen sich auch auf seine Rolle als Vater.
Üblicherweise verabschiedete Puller sich mit dem einen oder anderen Wort, bevor er den Besuch beendete. Immer spielte er die Rolle bis zum Schluss, wie die Seelenklempner es ihm empfohlen hatten. Dieses Mal nicht. »Wohin wollen Sie,
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