Zero Day
und den anderen um die Taille, und zog in gegensätzliche Richtungen. Als der Mann zu schreien anfing, hob er ihn hoch, kippte ihn in die Waagerechte, schwang ihn im Halbkreis und schmetterte ihn gegen den nächststehenden Baum. Er hörte das Rückgrat brechen und ließ die Last in den Lehm fallen. Schwer atmend betrachtete er das scheußliche Gebilde, das er aus einem menschlichen Körper gemacht hatte. Sein Blick erfasste das Messer. Sägeblattklinge. Abgenutzter Griff. War viel in Gebrauch gewesen. Diese Klinge hatte sein Blut trinken sollen. Er verspürte kein Fünkchen Bedauern.
»Puller!«
Er erkannte Coles Stimme und blickte nach rechts. »Hier drüben!«, rief er zurück. »Halten Sie sich in Deckung. Ich habe hier einen toten Scharfschützen und seinen Beobachter, aber es könnten noch mehr Personen beteiligt sein. Ich bin wohlauf.«
Zehn Minuten verstrichen. »Können wir jetzt zu Ihnen stoßen?«, rief Cole.
Ein letztes Mal ließ Puller seinen Blick den Waldrand entlangschweifen. »Momentan habe ich keine Bedenken.«
Wenig später erschienen Cole und zwei ihrer Deputys in seinem Blickfeld. »Puller?«
»Rechts von Ihnen.« Er trat in den Mondschein, um sich ihnen zu zeigen.
Cole und die Polizisten gesellten sich schnell zu ihm und den Toten.
Puller kniete sich hin und wälzte den Mordschützen auf den Rücken. »Leuchten Sie ihm mal ins Gesicht.«
Cole tat wie geheißen.
Der Polizeibeamte namens Lou schnappte nach Luft. »Das ist der Mann, der vorgetäuscht hat, in Treadwells Haus zu wohnen.«
Puller richtete sich auf. »Habe ich mir fast schon gedacht.«
»Wieso?«, fragte Cole.
»Sein Aussehen passt zu der Personenbeschreibung, die Lou uns gegeben hat. Jetzt wissen wir, dass er als Scharfschütze so tüchtig war wie im Nahkampf.«
Lou starrte auf die zweite Leiche. »Um Himmels willen, was haben Sie denn mit dem angestellt?«
»Ich habe ihn getötet«, lautete Pullers schlichte Antwort, »bevor er mich umbringen konnte.«
»Der erschossene Motorradfahrer ist Dickie Strauss«, sagte Cole.
»Ich weiß.«
»Was hat er da getrieben?«
»Er wollte sich mit mir treffen.«
Cole betrachtete die Schusswunden in den Armen des toten Schützen. »Ihre Treffer?«
Puller nickte. »Er hat nach seiner Pistole gegriffen. Er hat es darauf angelegt, dass ich ihn töte. Den Gefallen habe ich ihm nicht getan. Daraufhin hat er sich selbst erschossen. Ich hätte es voraussehen müssen. Aber wenn jemand sich umbringen will und eine Schusswaffe zur Hand hat, kann man es kaum verhindern.«
»Wahrscheinlich nicht«, meinte Cole.
Puller sah sich um. »Lassen Sie uns den Tatort sichern. Rufen Sie Lan Monroe und jeden an, den Sie sonst noch brauchen. Danach müssen wir uns unterhalten.«
»Worüber?«
»Über eine ganze Menge.«
76
Cole wartete in ihrem Haus auf Puller. Er hatte einen Abstecher zum Motel gemacht und war anschließend zu ihr gefahren. Sie empfing ihn an der Haustür, und er folgte ihr durch den Flur in die Küche. »Möchten Sie was trinken?«, fragte sie. »Ich hole mir ein Bier.«
»Nein, danke«, sagte er.
Sie setzten sich in ein rückwärtiges Zimmer, in dem man einen Blick auf den Garten hinter dem Haus hatte. Die Luft war schwülheiß, und Coles Wandklimaanlage taugte so wenig wie das gleichartige Gerät in Pullers Motelzimmer. Er glaubte, Kohlenstaub auf der Zunge zu schmecken und hatte das Gefühl, dass seine Haut sich ölig-schwarz verfärbte.
Cole nahm ihm gegenüber Platz und legte die Finger um den Hals der Bierflasche.
»Während Sie Hinweisen nachgegangen sind«, sagte sie, »bin ich an Treadwells Arbeitsplatz gewesen. Die einzige nützliche Information, mit der ich aufwarten kann, ist die, dass vom Inventar nichts fehlt. Niemand dort kann sich vorstellen, wieso Treadwell Rückstände von Wolframkarbid zu Hause gehabt haben könnte. Im Lagerbestand ist es nicht.«
»Also haben die Rückstände nicht mit seiner Arbeit zu tun?«
»Nein.«
»Inzwischen weiß ich mehr über das Meth-Labor.«
»Was denn?«
Puller erzählte, was er in der alten Feuerwache entdeckt hatte.
»Verdammt, der Xanadu-Club verkauft Meth?«
»Sieht ganz so aus«, bestätigte Puller. »Aber es bringt uns nicht im Mindesten weiter. Und uns läuft die Zeit davon.«
»Wieso? Was meinen Sie?«
Puller gab sein Gespräch mit Joe Mason wieder. Er informierte Cole über die von der Firma Trent betriebene Ferngasleitung und über den Atomreaktor, der anscheinend das eigentliche Ziel der Terroristen
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