Zero Day
mich gebeten, Sie zu grüßen.«
Unverzüglich endete die Verbindung.
Puller klappte das Handy zusammen und schob es in die Gürteltasche. Ein paar Sekunden lang blieb er noch sitzen und betrachtete seine Stiefel. Er sollte aufbrechen, endlich abfahren. Stattdessen holte er die Brieftasche heraus und suchte die Hülle mit dem Foto.
Darauf waren die drei Pullers in einer Reihe zu sehen. Hohen Wuchs hatten sie alle, aber John junior war der Größte; er überragte seinen Vater um knappe zwei Zentimeter. Das Gesicht des Generals schien aus Granit gehauen zu sein. Die Augen des Alten waren schon mit großkalibrigen Hohlladungsgeschossen verglichen worden. An seinem Kinn hätte man Klimmzüge machen können. Er ähnelte Patton und MacArthur in einer Person, aber er war größer, böser und härter. Als General hatte er sich als echter Fiesling erwiesen, doch seine Untergebenen schätzten ihn, waren für ihn gestorben.
Auch als Vater war er ein Fiesling gewesen. Und wie hatten seine Söhne zu ihm gestanden?
Ich habe ihn lieb. Ich würde für ihn sterben.
In West Point war der Alte Kapitän der Armee-Basketballmannschaft gewesen. Während seiner vier Tätigkeitsjahre als ihr Kapitän hatte sie kein einziges Mal die Meisterschaft gewonnen. Doch jedes Team, gegen das sie spielten, war mit einem Übermaß an Prellungen und Quetschungen heimgekehrt. Und die Mannschaften, die sein Team geschlagen hatten, waren wahrscheinlich dennoch mit dem Gefühl nach Hause gefahren, verloren zu haben. »Gepullert« zu werden war damals ein geläufiger Ausdruck gewesen. In der Basketball-Sporthalle. Auf dem Schlachtfeld. Dazwischen hatte für den Alten niemals ein Unterschied bestanden. Immer hatte er geklotzt, bis dem Gegner das Licht ausging. Oder bis die Kontrahenten keine Munition mehr hatten und keine Soldaten mehr ins Gefecht werfen konnten.
Beim Anschauen des Fotos verharrte Pullers Blick kurz auf der Stelle unmittelbar links von seinem Vater. Dort gab es niemanden zu sehen, obwohl da jemand hätte sein sollen. Sein müssen.
Puller steckte die Brieftasche weg, schnallte die Waffen um, schlüpfte in die CID -Windjacke und sperrte die Zimmertür von außen ab.
So lief es eben mit der Vergangenheit.
Sie schwand dahin.
24
Als er draußen in den Wagen steigen wollte, bemerkte er Licht im Büro des Motels. Weil er von Natur aus neugierig war, beschloss er, nach dem Rechten zu sehen. Er öffnete die Tür. Die alte Dame kauerte vor dem Empfang auf einem Stuhl und presste die rechte Hand auf die Brust. Sie wirkte furchtsam und atmete mit Mühe. Ihr Gesicht hatte sich gerötet.
Puller schloss die Tür und trat näher. Die Lippen und die Haut um die Nase waren nicht blau. Also keine Zyanose. Noch nicht.
Puller holte das Handy heraus und wählte 911, ohne das Tastenfeld anschauen zu müssen. »Wie lange sind Sie schon in diesem Zustand?«, fragte er die Frau.
»Etwa zehn Minuten«, raunte sie.
Er kniete sich neben sie. »Ist das auch früher schon passiert?«
»So schlimm war’s lange nicht mehr. Damals bin ich zur Quadrupel-Therapie in der Klinik gewesen.«
»Kranke Pumpe?«
»Sehr krank, glaube ich, ja. Wundert mich, dass ich noch lebe.« Sie stöhnte auf, drückte sich die Hand fester auf die Brust.
»Fühlt es sich an, als ob ein schweres Gewicht auf Ihrem Herzen lastet?« Sie nickte. »Haben Sie stechenden Schmerz in den Armen?« Diesmal schüttelte sie den Kopf. Tränen kullerten aus ihren Augen.
Als deutliches Symptom eines Herzinfarkts galt der Eindruck, ein Elefant hätte einem den Fuß auf den Brustkorb gesetzt. Ein weiteres verdächtiges Vorzeichen: scharfer Schmerz im linken Arm. Allerdings entstand er nicht in jedem Fall und keineswegs immer links, besonders bei Frauen nicht. Doch Puller hatte die Absicht, so lange zu warten.
Die Notdiensttelefonzentrale meldete sich. Puller schilderte die Situation in kurzen, klaren Sätzen, die genaue Einzelheiten enthielten, und beendete das Gespräch. »Sie sind unterwegs.«
»Ich hab Bammel«, sagte die Frau, deren Stimme zu versagen drohte.
»Ist mir klar. Aber Sie kommen durch.« Puller tastete nach ihrem Puls. Er schlug nur matt. Keine Überraschung. Herzschwäche verursachte verminderte Blutzirkulation, und als Folge ergab sich eine reduzierte Pulsfrequenz. In ihrem Alter konnte daraus ein Schlaganfall resultieren. Ihre Haut fühlte sich kalt und klamm an. Die Venen am Hals waren geschwollen. Ebenfalls ein schlechtes Zeichen. Vielleicht bildeten sich
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