Zero Day
medikamentösen Versorgung zu erkundigen.
Er entkleidete sich bis auf die Unterwäsche und streckte sich wieder auf dem Bett aus. Jedes Mal wenn er mit seinem Vater eine solche Unterhaltung hatte, schien ein klein wenig Realität abzubröckeln. Fast hielt er es für denkbar, dass irgendwann ein Tag kam, an dem sein Vater anrief und er ihm alles glaubte, was er schwadronierte. Dass seine Vorstellung stimmte, noch bei der Armee aktiven Dienst zu leisten, Kommandeur eines Armeekorps zu sein und dass er, Puller junior, sein »ausführender Offizier« war, sein »Hauptfeldwebel« oder einer von seinen hunderttausend Schützen Arsch. Eines Tages kam es vielleicht dazu, dass auch er, Puller, all das glaubte. Doch zumindest heute war es noch nicht so weit.
Puller knipste das Licht aus und schloss die Augen. Er benötigte Schlaf, also schlief er.
Aber sein Schlaf war nur leicht. Drei Sekunden, um hellwach zu werden, zu zielen und den Gegner zu treffen.
Bomben, Kugeln, jäher Tod. Es schien, als habe er Afghanistan nie verlassen.
43
Um sechs Uhr früh war Puller wieder auf, hatte bereits geduscht, sich rasiert und angezogen. Er setzte sich auf die kleine Veranda vor dem Büro des Motels und trank einen Becher Filterkaffee. Das gelbe Absperrband, das er nach Wally Cousins’ Abgang gespannt hatte, war unangetastet.
Um acht Uhr saß er mit Cole in der Krippe , frühstückte Ei mit Schinken und Maisgrütze und trank noch mehr Kaffee. Cole trug wieder Uniform. Ihre Weiblichkeit verbarg sich unter Polyester, Polizeiausrüstung und vorschriftsmäßigen schwarzen Schuhen.
»Louisa ist gestern verstorben«, sagte Puller.
»Davon habe ich noch gar nichts gehört«, antwortete Cole. Ihre Gabel verharrte auf halbem Wege zum Mund.
Puller erzählte ihr von Wally Cousins’ Besuch im Motel. Cole bestätigte, dass Wallys Großmutter und Louisa eine viele Jahre währende Freundschaft verbunden hatte. »Heute Morgen habe ich in der Klinik angerufen und mich als ihr Enkel ausgegeben«, sagte Puller. »Es hieß, sie sei im Schlaf gestorben.«
»Nicht das Schlechteste, würde ich sagen.«
Auf jeden Fall besser, dachte Puller, als ein Felsklotz, der auf das Auto stürzt, in dem man sitzt.
»Sie hat tatsächlich weit und breit keine Verwandten. Wally wusste es auch. Was geschieht nun mit ihrer Leiche? Wer kümmert sich um die Bestattung? Und was wird aus dem Motel?«
»Ich erledige ein paar Telefonate, und die Gemeinde wird sich damit befassen, Puller. Es ist in Drake längst nicht mehr wie einst, aber es gibt nach wie vor anständige Bürger, die sich um solche Angelegenheiten kümmern.«
»Na schön.« Puller trank einen Schluck Kaffee. »Müssen die Leute hier wirklich so schnell zugreifen, wenn jemand stirbt?«
Cole hob die Schultern. »Ich kann nicht behaupten, dass Cousins unrecht hatte. Wenn Menschen gar nichts haben, kommen sie auf die sonderbarsten Einfälle.«
»So wie in der Siedlung, die Sie mir in der Nähe der Betonkuppel gezeigt haben?«
»Ich muss zugeben, dass manche der dortigen Bewohner bisweilen die Umgebung ein bisschen unsicher machen. Manchmal holen sie sich Sachen von Mitbürgern, die noch leben und atmen. So etwas nennen wir dann Diebstahl, Einbruch oder Raub, und sie werden dafür bestraft.«
»Mit Gefängnis?«
»Gelegentlich.«
Puller aß einen Bissen Ei. Am Morgen hatte er nicht nur die Klinik, sondern auch den Leitenden Spezialagenten in Quantico angerufen und ihn über die jüngste Entwicklung informiert. »Anscheinend fühlt sich da jemand gehörig von Ihnen auf die Füße getreten«, hatte Don White angemerkt, als Puller von dem Bombenanschlag erzählte.
»Jawohl, Sir«, hatte Puller geantwortet, aber wieder nicht um Verstärkung ersucht. Falls es dem Offizier irgendwann beliebte, zusätzliche Kräfte einzusetzen, würde er sie ihm zuteilen; doch darum zu betteln hatte Puller keine Lust.
Des Weiteren hatte er für später bei einer privaten Fluggesellschaft einen Flug ab Charleston gebucht. Er musste im Pentagon über den ermordeten Oberst Reynolds Erkundigungen einziehen und seinen Wohnsitz in Fairfax City aufsuchen. Puller hatte angedeutet, die letztere Aufgabe könne statt durch ihn ebenso gut durch einen anderen CID -Agenten in Virginia wahrgenommen werden, doch White hatte klargestellt, dass die Bearbeitung des Falles, soweit es die Armee betraf, allein Puller oblag.
»Wie lange bleiben Sie im D. C. ?«, fragte Cole.
»Ich weiß es nicht genau. Hängt davon ab, was ich in Erfahrung
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