Zero Option: Thriller
tat so, als würde er gerade eine SMS schreiben, und drängte sich leicht schwankend an dem Tisch mit der Frau vorbei, stützte sich an der Stuhllehne mit der Jacke des Mannes ab. Er spürte das Gewicht des Schlüsselbunds in einer der Taschen und tat so, als sei er gestolpert. Dabei ließ er das Handy fallen. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus, bückte sich, um es mit der linken Hand aufzuheben, während er die rechte in die Jackentasche des Mannes gleiten ließ und den Schlüsselbund herausholte. Kopfschüttelnd stand er wieder auf. Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Frau ihn anschaute, ohne Misstrauen, nur mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen. Für sie war er nichts weiter als ein angetrunkener Fußballfan.
Zurück an der Theke nahm Victor noch einen großen Schluck Bier, dann verließ er die Kneipe. Den nächstgelegenen Schlüsseldienst hatte er bereits ausfindig gemacht und ließ sich einen Zweitschlüssel anfertigen. Anschließend kehrte er in die Kneipe zurück und reichte einer Kellnerin den Schlüsselbund, den er angeblich in der Nähe des Tisches gefunden hatte, an dem das junge Paar saß.
Die Fußballfans schrien auf, als der Ball im Netz landete.
Es dauerte eine Weile, bis Victor einen Laden für Künstlerbedarf gefunden hatte. Dort kaufte er Farbe, Papier, Pinsel, Kreide und ein Gläschen Grafitpulver. In der Kosmetikabteilung eines Kaufhauses erstand er einen ausklappbaren Make-up-Pinsel mit sehr weichen Borsten, Rouge und eine Flasche Parfüm, das ihm von einer freundlichen Verkäuferin empfohlen wurde, als er sie fragte, was er denn seiner Freundin schenken könnte.
Auf dem Weg zurück ins Hotel warf er alles weg bis auf das Grafitpulver und den Make-up-Pinsel. In seinem Zimmer angekommen schlüpfte er in seinen Anzug und tauchte den Make-up-Pinsel in das Grafitpulver, klappte ihn ein und steckte ihn in seine Hosentasche. Er war schon ein bisschen spät dran und ging dennoch gemächlich los.
Um sechzehn Uhr dreizehn traf er die Maklerin, die unruhig vor dem Appartementhaus auf und ab ging. Sie war etwa eins siebzig groß, Ende zwanzig, trug einen akkuraten, marineblauen Hosenanzug, der ihr ein durch und durch geschäftsmäßiges Aussehen verlieh, ohne auch nur den geringsten Zweifel daran zu lassen, dass sie eine attraktive und gut gebaute Frau war. Ihr blondes, schulterlanges Haar wehte sanft im Wind. Wie nicht anders zu erwarten, sah sie ziemlich ärgerlich und ungeduldig aus. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Er war noch einen guten Meter von ihr entfernt, als ihr klar wurde, wer er war. Er lächelte sie höflich an. Sie erwiderte sein Lächeln nicht.
»Frau Friedman, nehme ich an«, sagte Victor mit leichtem Hamburger Akzent. »Mein Name ist Krausse. Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.« Er lieferte keine nähere Begründung.
Sie erwiderte wenig überzeugend: »Das macht doch nichts.«
Er überhörte ihren Tonfall.
»Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen wollen, mir alles zu zeigen.«
Er streckte die Hand aus, und sie ergriff sie. Fast leblos.
Dann zeigte sie auf die Haustür. »Wollen wir?«
Frau Friedman begleitete ihn ins Penthouse, schloss die Tür auf und trat ein. Victor blieb ihr dicht auf den Fersen. Die Alarmanlage stieß einen dumpfen Warnton aus. Am anderen Ende des Flurs hing ein kleiner Kasten an der Wand. Um welches System es sich handelte, war nicht auf den ersten Blick erkennbar, aber angesichts der Exklusivität des Appartements hatte er es hier vermutlich nicht nur mit den üblichen Fotozellen zu tun, sondern mit einem deutlich komplexeren System. Wahrscheinlich Radarsensoren oder aber, noch wahrscheinlicher, passive Infrarot-Bewegungsmelder.
Radarsensoren stoßen in regelmäßigen Abständen Mikrowellen oder Ultraschallwellen aus. Diese Wellen werden von der Umgebung reflektiert und vom Gerät ausgewertet. Wenn ein Fremdkörper oder eine Person in den überwachten Bereich eindringt, ändert sich das Muster der reflektierten Wellen und löst den Alarm aus. Passive Infrarotsysteme hingegen registrieren den Anstieg der Infrarotstrahlung, verursacht durch die Körperwärme eines Eindringlings. Egal, welches System, es war in jedem Fall alles andere als einfach, es zu überlisten. Aber wenn alles so lief wie geplant, dann würde das gar nicht nötig werden.
Er beobachtete Friedman, während ihre Finger über das Tastenfeld huschten. Er konnte sich zwar nicht so dicht hinter sie stellen, dass er die Zahlen erkennen konnte, ohne sie
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