Zero Option: Thriller
es nicht schwer zu verstehen, weshalb ein wohlhabender ungarischer Gangster hier Quartier machen wollte.
Er setzte sich in ein Straßencafé, in dem es vor Mittagsgästen wimmelte. Kleidergeschäfte und Restaurants säumten die baumbestandene Straße. Ihm gegenüber befand sich die U-Bahn-Station, die gepflegt und sauber wirkte. Er beobachtete die Leute, vor allem die Männer Anfang bis Mitte dreißig, die vielfach lässig und stylisch zugleich gekleidet waren.
Als er seinen Eistee ausgetrunken hatte, suchte er ein Kleidergeschäft auf und sah sich in der Herrenabteilung um. Ein schlanker junger Mann erkundigte sich, ob er ihm vielleicht helfen könne.
Victor sagte: »Ich suche etwas Lässiges, das trotzdem stylisch ist.«
Alles, was zu auffällig war oder worin er zu gut aussah, lehnte er ab, sehr zur Verwirrung des jungen Mannes. Schließlich entschied er sich für zwei dunkle Jeans, ein paar gemusterte Hemden, einen cremefarbenen Pullover und eine braune Lederjacke, alles relativ weit geschnitten. Außerdem besorgte er sich in unterschiedlichen Geschäften Unterwäsche, Slipper, eine Schultertasche aus braunem Leder, eine Designer-Sonnenbrille und ein Prepaid-Handy.
Victors bescheidenes Hotel lag drei U-Bahn-Stationen weit entfernt. Er wollte einerseits in Farkas’ Nähe sein, aber gleichzeitig auch weit genug entfernt, um auch dann eventuelle Verfolger aufspüren zu können, wenn er gezwungen war, den direkten Weg zu nehmen. In seinem Einzelzimmer angelangt, schlüpfte Victor in seine neuen Sachen. Eigentlich trug er in städtischer Umgebung am liebsten Anzüge, aber im Prenzlauer Berg, wo Männer seines Alters sich tendenziell zwangloser kleideten, wäre er damit aufgefallen.
Vorhin schon hatte er zwei potenzielle Beobachtungsposten ausfindig gemacht. Der eine war ein schickes Café auf der gleichen Straßenseite wie das Appartementhaus, der andere eine Cocktailbar auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er betrat die Bar, bestellte sich ein stilles Wasser mit einer Scheibe Zitrone und setzte sich nach draußen.
Der Blick war zwar nicht optimal, aber von hier aus konnte er den Haupteingang des Gebäudes im Blick behalten, und es fiel nicht weiter auf, wenn er womöglich mehrere Tage lang viele Stunden hier verbrachte. Er holte ein kleines Notizbuch und einen Stift aus der Tasche und legte sie neben sein Wasserglas auf den Tisch. Er notierte sich alle Personen, die das Gebäude verließen oder betraten, und wartete auf jemanden, der seinen Anforderungen entsprach. Am liebsten eine Person, die nicht aussah wie ein Gast – ein Zimmermädchen vielleicht oder ein Hausmeister –, aber er hatte kein Glück.
Nachdem er zwanzig Minuten lang gewartet hatte, sah er einen Mann und eine Frau gemeinsam das Haus verlassen. Sie waren beide Ende zwanzig, ein gut aussehendes Paar, und das wussten sie auch. Sie achteten nicht auf ihre Umgebung, konnten weder die Blicke noch die Hände voneinander lassen. Er sah sofort, dass sie genau das waren, was er brauchte. In Victors Arbeitsfeld konnte die Liebe manchmal wirklich ein ausgesprochen nützliches Gefühl sein.
Sie waren leicht zu verfolgen. Selbst wenn er nicht vorsichtig gewesen wäre – was er immer war –, hätten sie ihn vermutlich nicht wahrgenommen, geschweige denn beachtet. Sie kamen nur langsam voran, wie es bei den meisten Paaren der Fall zu sein schien, und registrierten vor Seligkeit nicht einmal, wie viel Platz sie einnahmen. Etliche verärgerte Fußgänger hatten keine andere Wahl, als ihnen im Bogen auszuweichen.
Sie betraten eine Kneipe, und er trat wenige Minuten später ebenfalls dort ein. Im Inneren verfolgte eine lebhafte Menge auf mehreren großen Bildschirmen ein Fußballspiel. Victor entdeckte das Pärchen an einem Tisch in einer nur unwesentlich ruhigeren Ecke. Er orderte ein Bier und stellte sich so an die Theke, dass er die beiden beobachten konnte und gleichzeitig wie ein Fußballfan aussah, der sich einfach nur das Spiel anschauen wollte. Es war warm in der Kneipe, und Victor sah, wie der Mann seine Jacke auszog und über die Stuhllehne hängte. Auch er hatte sich ein Bier bestellt, genau wie Victor, und leerte es zügig. Als die Frau ihren Weißwein ausgetrunken hatte, erhob sich der Mann, um die zweite Runde zu bestellen. Victor stellte sein Glas ab und setzte sich in Bewegung. Während der Mann sich zur Theke durchkämpfte, schlängelte Victor sich durch die lebhafte Menschenmenge und holte dabei sein Handy aus der Hosentasche.
Er
Weitere Kostenlose Bücher