ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
schimpft, sich dann aber schnell wieder beruhigt. Und wenn nicht er, dann der Ingenieur, den du zu dir nach Hause einladen musst, weil er deiner Karriere auf die Sprünge helfen kann. Und der Verkehrspolizist, der dir einen Strafzettel verpasst; es ist Winter, aber ihm läuft der Schweiß, während er mit dir redet. Es kokst der Fensterputzer mit den tief in den Höhlen liegenden Augen, der sich das Zeug nur auf Pump kaufen kann, und der Typ, der seine Flyer gleich fünffach hinter die Windschutzscheiben steckt. Ebenso der Politiker, der dir eine Gewerbelizenz versprochen hat. Mit den Stimmen von dir und deiner Familie ist er ins Parlament gekommen, und er ist ein Nervenbündel. Der Lehrer kokst, der dich beim geringsten Zeichen von Unsicherheit durch die Prüfung rasseln lässt, und der
Onkologe, angeblich eine Koryphäe, von dem du dir Rettung erhoffst; wenn er eine Line zieht, fühlt er sich allmächtig. Der Gynäkologe kokst, der mit Zigarette im Mund reinkommt, um deine Frau zu untersuchen; ihre Wehen haben gerade begonnen. Dein Schwager kokst, der nie gut drauf ist, und der Freund deiner Tochter, der es immer ist. Und wenn nicht sie, dann der Fischverkäufer, der den Schwertfisch in seiner Auslage drapiert, oder der Tankwart, der das Benzin verschüttet; er kokst, um sich jung zu fühlen, schafft es aber nicht mal mehr, den Zapfhahn ordentlich in die Tanköffnung zu stecken. Ebenso der Vertrauensarzt, den du schon seit Jahren kennst und der dich außer der Reihe drannimmt, weil du weißt, was du ihm zu Weihnachten schenken musst. Der Hausmeister deines Wohnhauses kokst und die Lehrerin, die deinen Kindern Nachhilfestunden erteilt, die Klavierlehrerin deines Enkels, die Kostümbildnerin der Theatergruppe, deren Vorstellung du heute Abend besuchst, und der Tierarzt, zu dem du deine kranke Katze bringst. Der Bürgermeister kokst, bei dem du zum Abendessen warst, der Bauherr des Hauses, das du bewohnst, der Schriftsteller, dessen Buch du vor dem Einschlafen liest, und die Nachrichtensprecherin im Fernsehen. Wenn du aber nach längerer Überlegung zu dem Schluss kommst, dass es ausgeschlossen ist, auch nur einer von ihnen könnte koksen, bist du entweder blind oder du machst dir etwas vor. Oder du selbst bist derjenige, der kokst.
1 Die Lektion
»Sie saßen alle um einen Tisch, in New York, hier ganz in der Nähe.«
»Wo?«, fragte ich instinktiv.
Er sah mich an, als könne er es nicht fassen, dass jemand so eine dumme Frage stellt. Die Geschichte, die er mir erzählte, war der Dank für ein Entgegenkommen meinerseits. Die Polizei hatte ein paar Jahre zuvor in Europa einen jungen Mann verhaftet, einen Mexikaner mit amerikanischem Pass. Sie brachten ihn nach New York und hielten ihn an der langen Leine, ließen ihn in die Welt der illegalen Geschäfte dieser Stadt eintauchen und ersparten ihm damit das Gefängnis. Ab und zu trug er ihnen etwas zu, dafür verhafteten sie ihn nicht. Er war kein richtiger Spitzel, nur ein Tippgeber, was ihm das Gefühl gab, weder ein Verräter zu sein noch ein knallharter Mafioso, den das Gesetz der omerta zum Schweigen verpflichtet. Die Polizisten wollten allgemeine Auskünfte von ihm, keine Details, die ihn in seiner Gruppe hätten bloßstellen können. Es genügte, wenn er ihnen das umlaufende Gerede zutrug, etwas über die herrschende Stimmung, Gerüchte von Versammlungen oder von Fehden. Keine Beweise, keine Indizien, nur Gerüchte. Die Indizien würde man später sammeln. Aber jetzt hatte der Typ mit seinem iPhone eine Rede aufgenommen, die Rede bei einer Versammlung, an der er teilgenommen hatte. Die Polizei war besorgt. Einige, mit denen ich seit Jahren in Kontakt stand, wollten, dass ich darüber schrieb. Irgendwo darüber schrieb,
um die Sache publik zu machen, damit man die Reaktion testen und sicher sein konnte, dass sich die Geschichte, die ich gleich hören würde, tatsächlich so zugetragen hatte, wie der Typ behauptete, und nicht inszeniert war, eingefädelt, um Chicanos und Italiener zu ködern. Ich sollte darüber schreiben, um in den Kreisen, in denen diese Sätze gefallen und gehört worden waren, Unruhe zu schüren.
Der Polizist erwartete mich im Battery Park auf einer kleinen Mole. Ohne Schlapphut und Sonnenbrille, ohne lächerliche Verkleidung. Er trug ein knallbuntes T-Shirt und Badeschlappen und lächelte, als könne er es gar nicht erwarten, sein Geheimnis preiszugeben. Sein Italienisch hatte viele dialektale Einschläge, aber ich konnte ihn gut
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