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ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht

Titel: ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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anderer Mensch. Man hat dir keine letzte Wahrheit enthüllt, sondern nur ein paar Dinge zurechtgerückt. Dinge, von denen du bis dahin nicht wusstest, wie man mit ihnen umgeht. Dinge, die du nicht den Mut hattest anzugehen, einzuordnen, wahrzunehmen.
    Der Polizist las mir aus einem Notizheft das Wortprotokoll der Rede vor. Sie waren in einem Raum versammelt gewesen, unweit von da, wo wir uns jetzt befanden. Zwanglos plaziert, ohne eine vorgegebene Ordnung, nicht etwa in Hufeisenform wie bei einer Aufnahmezeremonie. Eher wie in einem Freizeitverein in den Provinzstädten Süditaliens oder in den Restaurants der Arthur Avenue bei einem im Fernsehen übertragenen Fußballspiel. Aber in diesem Raum gab es kein Fußballspiel zu sehen, und es war auch kein Treffen von Freunden. Anwesend waren Mitglieder krimineller Organisationen, Leute von unterschiedlichem Rang. Der alte Italiener stand auf, ein Ehrenmann, der nach Jahren in Kanada in die Vereinigten Staaten gekommen war. Er begann zu sprechen, ohne sich vorzustellen, das war nicht nötig. Seine Sprache war unsauber: Italienisch, gemischt mit Englisch und Spanisch, und manchmal verfiel er in den Dialekt. Ich hätte gern seinen Namen gewusst und fragte den Polizisten mit geheuchelt spontaner Neugier, ganz beiläufig, doch er machte sich nicht einmal die Mühe zu reagieren. Es gab nur das, was der Boss gesagt hatte.
    »Un munnu de chiri ca cridanu de puti campa cu ra giustiz-ia ... Eine gerechte Welt mit Gesetzen, die für alle gleich sind, eine Welt, in der man in Würde und von seiner Hände Arbeit leben kann, mit sauberen Straßen und der Gleichstellung von Mann und Frau - das ist eine Welt von Schwächlingen, die glauben, sie könnten sich selbst etwas vorgaukeln. Und denen, die von ihnen abhängen. Den Unsinn von einer besseren Welt überlassen wir den Dummköpfen. Den reichen Dummköpfen, die sich diesen Luxus kaufen. Den Luxus, an eine glückliche und gerechte Welt zu glauben. Den Reichen, die Gewissensbisse oder etwas zu verbergen haben. Who rules just does it, and that’s it. Einer kann sagen, er führt das Kommando im
    Namen des Guten, der Gerechtigkeit und der Freiheit. Aber das ist was für die Weiber, überlassen wir es den Reichen, den Dummköpfen. Wer befiehlt, der befiehlt, und fertig.«
    Ich hätte gern gewusst, wie er gekleidet war, wie alt er war. Fragen eines Bullen, eines Reporters, eines Neugierigen, eines Besessenen, der glaubt, mit derlei Details dem Prototyp eines Bosses auf die Spur zu kommen, der solche Reden hält. Aber mein Gesprächspartner las weiter, ohne mich zu beachten. Ich prüfte jedes seiner Worte sorgfältig wie Sand, den man durch ein Sieb schüttelt, um das Goldklümpchen zu finden. Den Namen. Ich hörte zu, doch was ich suchte, waren Hinweise. Indizien.
    »Er wollte ihnen die Regeln erklären, verstehst du?«, sagte der Polizist. »Er wollte sie ihnen regelrecht einbleuen. Ich bin sicher, dass unser Informant nicht gelogen hat. Ich garantiere, der Mexikaner erzählt keinen Unsinn. Ich lege meine Hand für ihn ins Feuer, auch wenn mir keiner glaubt.«
    Er wandte sich wieder seinem Notizheft zu.
    »Die Regeln der Organisation«, las er vor, »sind die Regeln des Lebens. Die Gesetze des Staates sind die Regeln eines Teils der Gesellschaft, der die anderen bescheißen will. E nui nun cci facimu futte e nessunu, aber wir lassen uns von niemandem bescheißen. Es gibt Leute, die Geld machen, ohne etwas zu riskieren, aber diese Herren werden immer Angst vor denen haben, die für Geld alles riskieren. If you risk all, you have all, capito? Aber wenn du glaubst, du müsstest deine Haut retten oder du kämst ohne Gefängnis davon, ohne zu fliehen und ohne dich verstecken zu müssen, dann sage ich dir klipp und klar:
    Du bist kein Mann. Und wenn ihr keine Männer seid, verlasst diesen Raum und macht euch keine Hoffnungen, denn wenn ihr nicht Männer werdet, könnt ihr nie und nimmer Ehrenmänner sein.«
    Der Polizist sah mich an. Er hatte die Augen fest zusammengekniffen, konzentriert auf den Wortlaut, den er sehr genau kannte. Er hatte das Dokument immer und immer wieder gelesen und angehört.
    »Crees en el amor? El amor se acaba. Crees en tu corazon? El corazon se detiene, no? No amor y no corazon? Entonces crees en el cono? Glaubst du an die Liebe? An dein Herz? Die Liebe vergeht, und dein Herz bleibt stehen. Keine Liebe und kein Herz? Dann glaubst du also ans Ficken? Auch das erschöpft sich irgendwann. Glaubst du an deine Frau? Sobald

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