ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
dir das Geld ausgeht, wird sie sagen, du kümmerst dich nicht genügend um sie. Glaubst du an deine Kinder? Wenn du ihnen kein Geld gibst, werden sie sagen, dass du sie nicht liebst. Glaubst du an deine Mutter? Wenn du nicht ihr Kindermädchen spielst, wird sie sagen, du bist ein undankbarer Sohn. Escucha lo que digo: tienes que vivir. Hör zu, was ich sage: Du musst leben.
Um deiner selbst willen leben. Du musst wissen, wie du dir Respekt verschaffst und wem du Respekt erweist. Der Familie. Den respektieren, der dir nützt, und den verachten, der keinen Wert für dich hat. Respekt gewinnt der, der dir etwas geben kann. Wer nutzlos ist, verliert ihn. Werdet ihr etwa nicht von denen respektiert, die etwas von euch wollen? Oder Angst vor euch haben? Und was ist, wenn ihr nichts geben könnt? Wenn ihr nichts mehr habt, nicht mehr nützlich seid? Dann werdet ihr als basura betrachtet, als Dreck. Wenn ihr nichts zu verteilen habt, seid ihr nichts.«
»An dieser Stelle«, wandte sich der Polizist an mich, »wurde mir plötzlich klar, dass der Boss, der Italiener, einer ist, der was zählt, der das Leben kennt, wirklich kennt. Eine solche
Ansprache kann der Mexikaner unmöglich frei erfunden und aufgenommen haben. Der Chicano ist mit sechzehn von der Schule abgegangen, und in Barcelona haben sie ihn in einer Spielhölle geschnappt. Und außerdem: Wie hätte ein Schauspieler oder irgendein Wichtigtuer dieses Kalabrisch erfinden können? Ohne die Großmutter meiner Frau hätte selbst ich kein Wort verstanden.«
Moralphilosophische Äußerungen der Mafia kannte ich viele: von den Aussagen reuiger Mafiosi und von abgehörten Telefonaten. Aber diese Rede war ungewöhnlich, sie wirkte wie ein Erziehungsprogramm. Sie war eine Kritik der praktischen mafiösen Vernunft.
»Ich spreche zu euch, und einige von euch sind mir sogar sympathisch. Ein paar anderen allerdings würde ich am liebsten die Fresse polieren, cci spaccaria a faccia. Aber wenn selbst der Sympathischste von euch mehr Weiber und mehr Geld hat als ich, will ich ihn tot sehen. Wenn einer von euch mein Bruder wird und ich ihn als meinesgleichen in die Organisation aufnehme, ist schon klar, was kommt. Er wird versuchen, mich zu bescheißen. Don’t think a friend will be forever a friend. Mich wird einmal jemand umbringen, mit dem ich Tisch und Bett und alles geteilt habe. Jemand, der mir Unterschlupf gewährt und mich versteckt hat. Ich weiß nicht, wer es sein wird, sonst hätte ich ihn längst kaltgestellt, aber genau so wird es kommen. Und wenn er mich nicht umbringt, wird er mich verraten. Regel ist Regel. Und Regeln sind keine Gesetze. Gesetze sind für Feiglinge, Regeln sind für Männer. Deshalb haben wir einen Ehrenkodex. Der Ehrenkodex sagt dir nicht, dass du gerecht, gut und anständig sein sollst. Der Ehrenkodex sagt dir, wie man das Kommando führt. Was du tun musst, um mit Leuten, Geld und Macht umzugehen. Wie du den bescheißt, der über dir steht, ohne dich von dem bescheißen zu lassen, der unter dir steht. Den Ehrenkodex braucht man nicht zu erklären. Er existiert und fertig. Die Regeln sind von allein entstanden, mit dem Blut und im Blut jedes Ehrenmanns. Wie kannst du entscheiden?«
War diese Frage an mich gerichtet? Ich suchte nach einer passenden Antwort, wartete aber vorsichtshalber erst einmal ab. Vielleicht würde der Polizist ja weiter den Boss sprechen lassen.
»Wie kannst du innerhalb von Sekunden, Minuten oder Stunden entscheiden, was zu tun ist? Wenn du dich falsch entscheidest, wirst du auf Jahre dafür büßen. Es gibt Regeln, es gibt sie immer, aber du musst imstande sein, sie zu erkennen, und du musst wissen, wann sie gelten. Und dann gibt es die Gebote Gottes. Die Gebote Gottes sind in den Regeln enthalten: die wahren Gebote Gottes, nicht die, mit denen man den armen Teufeln Angst einjagt. Aber vergesst nicht: Egal, was für Regeln es gibt, eins allein ist sicher: Ihr seid nur dann Männer, wenn ihr spürt, was euer Schicksal ist. Ein armer Teufel kriecht zu Kreuz, um seine Ruhe zu haben. Ehrenmänner wissen, dass alles stirbt und vergeht, dass nichts bleibt. Die Journalisten wollen am Anfang die Welt verändern, aber am Ende wollen sie nur noch Chefredakteur werden. Sie zu beeinflussen ist einfacher, als sie zu bestechen. Jeder zählt nur für sich selbst und für die ehrenwerte Gesellschaft. Und die ehrenwerte Gesellschaft sagt dir, dass du nur dann einen Wert hast, wenn du das Kommando führst. Despues, puedes elegir la forma.
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