ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Haut krabbeln Würmer, man kratzt sich blutig, als wollte man sich die Haut aufreißen, um diese lästigen Gäste loszuwerden. Doch das sind nur Nebensymptome einer Droge, die ansonsten ähnlich wirkt wie Kokain, nur stärker und verheerender. Die Nachfrage steigt kontinuierlich, doch es fehlt ein Boss, einer, der weiß, wie man die Chance nutzt, um neue Geldquellen anzuzapfen. Aber El Chapo ist ein Profi. Und das Sinaloa-Kartell steht bereit und hat den richtigen Mann parat: Ignacio Coronel Villarreal, der zum »Crystal-König« wird. Für die Herstellung von Methamphetaminen braucht man lediglich die richtigen chemischen Substanzen und Geheimlabors. Und mit guten Kontakten zur Pazifikküste kann man sich die »Vorprodukte« aus China, Thailand und Vietnam kommen lassen. Ein lukratives Geschäft: Ein einziger in den Rohstoff investierter Dollar erbringt im Straßenverkauf das Zehnfache.
Das Sinaloa-Kartell ist etwas Einzigartiges. Es zeichnet sich durch die unternehmerische Fähigkeit aus, neue Geschäftsfelder frühzeitig zu wittern. Sinaloa kolonisiert. Sinaloa drängt immer weiter an die Spitze. Sinaloa will das Kommando. Das alleinige Kommando.
4 El Mata Amigos
Matamoros im nordostmexikanischen Bundesstaat Tamaulipas liegt am südlichen Ufer des Rio Bravo und ist durch vier Brücken mit der texanischen Stadt Brownsville verbunden. Diese vier Brücken sind die Pipelines, durch die das weiße Öl in die Vereinigten Staaten gepumpt wird. Hier regiert das Golf-Kartell, eine der grausamsten Drogenhandelsorganisationen. 1999 schleuste es monatlich bis zu fünfzig Tonnen Kokain in die USA und dehnte seine Macht vom Golf von Mexiko bis zum Pazifik stetig aus: ein Gebiet, das es durch Gewalt, Korruption und Absprachen mit anderen Narcogruppen unter seine Kontrolle bringen konnte. Sie waren die Nummer eins. Und ihre Nummer eins war Osiel Cardenas Guillen.
Die Geschichte von El Padrino, der als Letzter kommt, Platz nimmt und Trinksprüche auf die neuen Bosse der verschiedenen Territorien ausbringt, hatte Osiel schon tausendmal gehört. Gewiss, die Details variierten von Erzähler zu Erzähler und waren so wechselhaft wie Aprilwetter, doch der Kern blieb stets derselbe: Es war eine neue Welt geschaffen worden. Osiel wurde mit Wut im Bauch geboren. Schon das Kind suchte Streit, der Heranwachsende war ein Raufbold, der junge Mann gewalttätig. In ihm schwelte eine blinde, sinnlose Wut, die er kultivierte und die durch seine brillante Intelligenz einen sadistischen und dämonischen Zug bekam.
»Wenn du die ganze Welt haben kannst, warum solltest du dich mit einem Zipfelchen begnügen?«, soll er einem
unbedachten Gesprächspartner entgegnet haben, der ihn zum wiederholten Mal mit der Geschichte des Padrino und der Aufteilung der Territorien langweilte. Wer würde nicht so antworten, wenn seine Eltern trotz ihrer ärmlichen Lebensbedingungen unbeirrt weiter Kinder in die Welt setzen, die sich zwischen mageren Hühnern tummeln? Osiel erfand sich eine eigene Welt, um das Chaos um sich herum auszublenden. Schon mit vierzehn arbeitete er vormittags als Gehilfe in einer Autowerkstatt und nachmittags in einer maquiladora, einer Fertigungsfabrik, wo er mit zweihundert anderen Staubsauger zusammenbaute, die dann von Yankee-Hausfrauen nur wenige Kilometer weiter nördlich in Gebrauch genommen wurden.
Wenn Wut und Rachedurst aufeinandertreffen, kann dies zu Frustration führen oder zu maßlosem Ehrgeiz. Osiel entschied sich für Letzteres. In der maquiladora hatte er ein Mädchen kennengelernt, ein aufgewecktes Ding mit Augen schimmernd wie zwei Perlen, aber Osiel schämte sich, als er sie einlud, mit ihm auszugehen, denn er besaß kein Auto, um sie abzuholen, und konnte sie nicht einmal in ein bescheidenes Restaurant ausführen. Er fing an zu dealen. Schnell, lukrativ und so riskant, dass er spürte, wie ihm das Adrenalin ins Blut schoss. Er brauchte diesen Kick. Unter Anfängern übernimmt der abgebrühteste Dealer die Führung. Grausamkeit ist entscheidend, um die Macht zu behalten. Mangel an Grausamkeit wird dir als Schwäche ausgelegt. Es ist wie bei den Hunden: Wer am lautesten bellt, wird Anführer des Rudels.
Gleichzeitig geriet Osiel immer öfter ins Visier der Polizei. 1989, mit einundzwanzig, wurde er unter Mordanklage erstmals verhaftet, auch wenn er schon einen Tag nach der Festnahme gegen Kaution wieder freikam. Ein Jahr später saß er erneut im Gefängnis, wegen Körperverletzung und Bedrohung,
doch auch diesmal
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