ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
das war
jahrelang die Schmuggelroute. In den Jahren der Übergriffe und Entführungen war eine Organisation privater vigilantes gegründet worden, La Familia.
Die Familia Michoacana entstand zum Schutz vor der Gewalt, zur Verteidigung der Schwächsten. Ein paar Jahre lang übertrug ihr das Golf-Kartell, das sich in diesen Landstrichen ausbreitete, eine paramilitärische Schutzfunktion. Heute ist die Familia ein eigenständiges Kartell, spezialisiert auf den Handel mit Methamphetaminen, dessen größter Lieferant für die USA es inzwischen geworden ist. Die schroffen Berge von Micho-acan, die ein natürliches Versteck boten, und die Lage am Pazifik, die den Transport erleichterte, vor allem aber die ausgedehnten fruchtbaren Felder der Tierra Caliente - ideal für Marihuanaplantagen -, lockten jahrzehntelang Drogenhändler hierher. Heute befinden sich in Michoacan Methamphetamin-Labore. Nach Angaben von Michael Braun, einem ehemaligen DEA-Einsatzleiter, verfügt die Familia in Mexiko über spezialisierte Labore, die innerhalb von acht Stunden bis zu fünfzig Kilo Methamphetamine produzieren können. Die Familia kennt strenge Regeln für den Vertrieb der Droge: kein Verkauf an die Mitglieder der Organisation oder an Mexikaner. Diese widersprüchliche Moral propagiert das Kartell mit Spruchbändern in seinem Terrain: »Wir sind gegen den Rauschgiftkonsum und sagen nein zur Ausbeutung von Frauen und Kindern.«
Ihren Einstieg in den mexikanischen Drogenhandel als unabhängiges Kartell zelebrierte die Familia mit einer spektakulären Inszenierung: In der Nacht des 6. September 2006 stürmen zwanzig schwarz gekleidete Männer mit Sturmmasken die Diskothek Sol y sombra in Uruapan, hundert Kilometer von Morelia, der Hauptstadt von Michoacan, entfernt. Bis an die
Zähne bewaffnet, schießen sie ein paarmal in die Luft und herrschen die Gäste und die Vortänzerinnen an, sich auf den Boden zu werfen. In der allgemeinen Panik stürmen sie die Galerie des Lokals, reißen schwarze Müllsäcke auf und lassen fünf abgetrennte Köpfe auf die Tanzfläche rollen. Sie hinterlassen einen Brief mit der Botschaft: »Die Familia tötet nicht wegen Geld, sie tötet keine Frauen, sie tötet keine Unschuldigen. Es stirbt nur, wer es verdient hat. Alle sollen wissen: Das ist die göttliche Gerechtigkeit.« Mit dieser Visitenkarte trat die Familia Michoacana in Mexiko ins Licht der Öffentlichkeit.
Den Mitgliedern der Organisation ist das eigene Territorium heilig, sie dulden nicht, dass es von Drogen und Krankheiten besudelt wird, ähnlich wie die italienischen Organisationen, die Drogendealer in ihrem Herrschaftsgebiet bestrafen. Die Famil-ia Michoacana hat ein eigenes Sozialsystem aufgebaut. Sie kämpft entschlossen und offensiv gegen Drogensucht. Ihre Mitglieder gehen in die Entzugsanstalten und ermuntern die Suchtkranken, sich mit allen Mitteln von der Abhängigkeit zu befreien, auch mit Hilfe von Gebeten. Anschließend versuchen sie, sie für das Kartell zu rekrutieren, und töten sie, wenn sie sich weigern. Gebete spielen generell eine wichtige Rolle, denn neben dem persönlichen Verhalten hängt die Karriere in der Familia von der Teilnahme an Gebetstreffen ab.
Das Kartell unterstützt Bauern, Betriebe, Schulen und Kirchen mit Geldspenden und wirbt in Lokalzeitungen für sozialen Rückhalt. Mit einer Anzeige in der Lokalzeitung La Voz de Michoacan stellte sich die Familia im November 2006 der Öffentlichkeit vor: »Einige unserer Strategien sind rigide, aber nur so können wir Ordnung im Staat schaffen. Es ist möglich, diese Verbrecher zu bekämpfen. Sie kommen aus anderen Staaten hierher, doch wir verweigern ihnen den Zutritt nach
Michoacan, weil sie hier nur Straftaten begehen wollen.« Die Familia ist ein Staat im Staate Michoacan. Sie finanziert Projekte zum Wohl der Allgemeinheit, überwacht die Kleinkriminalität und schlichtet lokale Streitigkeiten. Sie erhebt Schutzgeld für jede Art wirtschaftlicher Aktivität: 100 Pesos monatlich für einen Stand auf dem Stadtteilmarkt, 30 000 Pesos für einen Autohändler. Häufig sehen sich Unternehmen gezwungen zu schließen und ihren Betrieb der Organisation zu überlassen, die ihn dann für Geldwäsche nutzt.
Trotz ihrer religiösen Ausrichtung ist die Familia berüchtigt für ihre blutige Grausamkeit. Sie foltert und tötet ihre Rivalen. »Präsident Felipe Calderon soll wissen, dass wir nicht seine Feinde sind, dass wir ihn schätzen. Wir sind offen für den Dialog. Wir wollen
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