ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
nicht, dass sich in Michoacan die Zetas breitmachen. Wir wollen Ruhe und Frieden. Wir wissen, wir sind ein notwendiges Übel ... Wir wollen zu einer Übereinkunft kommen, wir möchten einen nationalen Pakt.« Dies erklärte Servando Gomez Martmez, genannt »La Tuta«, telefonisch in der Sendung Voz y Solucion des lokalen Fernsehkanals CB Television von Michoacan, die von dem Journalisten Marcos Knapp geleitet wird. Gomez, ein hochrangiges Mitglied des Kartells und Verbündeter von Moreno Gonzalez, bot dem mexikanischen Präsidenten Calderon sogar ein Bündnis an, um seine am meisten gefürchteten Rivalen, die Zetas, auszuschalten. Doch die Regierung lehnte jede Verhandlung ab. Dennoch ist die Familia eines der Kartelle, die in den Jahren des mexikanischen Drogenkriegs am schnellsten expandierten. Von Michoacan aus erweiterte es seine Macht in die angrenzenden Bundesstaaten Guerrero, Queretaro und Mexiko, und ihre Tentakel reichen bis in die Vereinigten Staaten. Im Oktober 2009 veröffentlichten die US-Behörden die Ergebnisse des Projekts
»Coronado«, einer vierjährigen Untersuchung zu den Aktivitäten von La Familia in den USA. Auf dessen Basis entstand eine der großangelegtesten Operationen gegen die mexikanischen Drogenkartelle auf US-amerikanischem Territorium.
Mehr als dreitausend Polizeibeamte waren an einer zwei Tage dauernden Razzia beteiligt, die von lokalen, einzel- und bundesstaatlichen Behörden gemeinsam geführt wurde. In neunzehn verschiedenen US-Bundesstaaten wurden dreihundertdrei Personen verhaftet und 62 Kilo Kokain, 330 Kilo Methamphetamin, 440 Kilo Marihuana, 144 Waffen, 109 Fahrzeuge, zwei geheime Drogenlabore sowie 3,4 Millionen Dollar in bar beschlagnahmt. Im November 2010 schlug die Fa-milia einen neuen Deal vor: Sie sei bereit, ihr Kartell aufzulösen, wenn der Staat, die Bundesregierung und die Bundespolizei die Sicherheit von Michoacan garantierten. Das Angebot wurde in Form von Flugblättern veröffentlicht, die unter Haus- und Ladentüren geschoben und in Fernsprechhäuschen abgelegt wurden sowie in Form von quer über der Straße gespannten Spruchbändern und Briefen, die an Blogs, Rundfunksender, Zeitungen und nationale und internationale Nachrichtenagenturen geschickt wurden. Die Familia, so heißt es in dieser Botschaft, sei geschaffen worden, weil der Staat nicht in der Lage sei, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Ihre Mitglieder seien Männer und Frauen aus Michoacan, die bereit seien, für die Verteidigung des Staates ihr Leben zu geben. Doch Felipe Calderon, der selbst aus Michoacan stammt, lehnte die Absprache und die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Kartell erneut ab.
Der Kampf zwischen der Familia und den Zetas machte Michoacan zum Kriegsgebiet. Am 15. September 2008, dem Vorabend des mexikanischen Unabhängigkeitstags, fand in der
Hauptstadt Morelia der erste narcoterroristische Anschlag der mexikanischen Geschichte statt. Kurz nachdem Gouverneur Leonel Godoy die Unabhängigkeitsglocke geläutet und dreimal »Viva Mexico!« ausgerufen hatte, explodierten auf dem Zocalo, wo die Feierlichkeiten stattfinden sollten, zwei Splitterhandgranaten. Acht Menschen starben, mehr als hundert wurden verwundet, allesamt Unbeteiligte. Damit wurden erstmals vorsätzlich Unschuldige zu Opfern des Drogenkriegs. Die Behörden machten die Familia Michoacana für den Anschlag verantwortlich, die wiederum auf Spruchbändern die Zetas beschuldigte.
Der Anschlag in Morelia besiegelte einen neuen Kurs, der von der Strategie der Zetas und der Familia Michoacana geprägt war. Bisher hatte es feste Regeln gegeben. Wer El Chapo verriet, wurde hingerichtet, und fertig. Es wurde kein schauerliches Spektakel inszeniert. Heute dagegen findet die Grausamkeit systematisch und für alle sichtbar statt. Zur brutalen Gewalt kommt die öffentliche Demütigung hinzu. El Chapo reagierte sofort. Einen Tag nach dem Anschlag brachte er per Mail eine von ihm und El Mayo unterzeichnete Erklärung in Umlauf: »Wir Sinaloesen haben stets die Bevölkerung in Schutz genommen, wir haben die Familien der Capos und der kleinen Drogenkuriere respektiert, wir haben die Regierung, Frauen und Kinder respektiert. Als das Sinaloa-Kartell in der ganzen Republik herrschte, gab es keine Hinrichtungen, und wisst ihr, warum? Weil wir wissen, was Arbeit ist, und weil wir Gefühle haben.«
Die Zurschaustellung ihrer Greueltaten dient den Zetas und der Familia Michoacana zur Übermittlung von Botschaften.
Das
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