ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Weihnachtsfeiertag geht das Massaker weiter. Bei einer Routinekontrolle entdecken Armeesoldaten unweit von Tampico im Bundesstaat Tamaulipas, dem Nachbarstaat von Veracruz, auf einem Lkw-Anhänger dreizehn Leichen, dazu Spruchbänder, sogenannte narcopancartas, die auf Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen verweisen. Die Liste der Greueltaten ließe sich noch lange fortsetzen, aber damit würde man den Mitgliedern des Jalisco-Kartells nur einen Gefallen tun.
Es ist der 1. Juli 2012. Mexiko hat soeben einen neuen Präsidenten gewählt. Zu den vorrangigen Zielen Enrique Pena Nietos zählt der Kampf gegen den Drogenhandel, der in den vergangenen fünf Jahren mehr als 50 000 Menschenleben gefordert hat. Vierundzwanzig Stunden nach seiner Wahl, um zehn Uhr morgens, hält in Zacazonapan, Zentralmexiko, eine Gruppe von vierzig Auftragsmördern vier Jungen zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren an, die für die Familia Michoacana dealen. Weitere Mitglieder der Familia strömen herbei, es kommt zu einer Schießerei. Eine Stunde lang herrschen Angst und
Schrecken unter der Bevölkerung. Die Schulen unterbrechen den Unterricht und warten auf die Ankunft von Armee und Polizei, die später den Tod von mindestens acht Menschen bestätigen wird. »El Tuzo« jedoch konnte sich retten. Er gilt als der bewaffnete Arm von Pablo Jaimes Castrejon, genannt »La Mar-rana« (»Die Sau«), des mutmaßlichen Anführers der Familia Michoacana im Süden des Bundesstaats Mexiko. Er ist einer der meistgesuchten Narcos, dem Entführung, Erpressung, Mord und Drogenhandel zur Last gelegt werden.
Die vierzig Killer gehören dem Kartell des Templerordens an, das erst ein Jahr zuvor gegründet worden war und eine neue Stufe des enthemmten mörderischen Wahnsinns markiert, in dem Mexiko heute versinkt. Das Kartell Los Caballeros Tem-plarios ist eine Abspaltung der Familia Michoacana, die, so die neue Gruppe, ihren eigenen Werten untreu geworden sei und nun Diebstahl, Entführung und Erpressung nach dem gängigen Muster praktiziere. Der Templerorden dagegen vertritt einen strengen Ehrenkodex - den Kampf gegen Materialismus, Ungerechtigkeit und Tyrannei - und führt eine ideologische Schlacht zur Verteidigung sozialer Werte auf der Grundlage ethischer Prinzipien. Ihre Mitglieder geloben den Unterdrückten, den Witwen und Waisen Schutz. Ihnen ist es verboten, Frauen und Minderjährige zu missbrauchen, ihre Macht einzusetzen, um zu betrügen, oder allein um des Geldes willen Entführungen zu organisieren. Jede Tötung bedarf einer Erlaubnis. Ein Tempelritter darf nicht sektiererisch und engstirnig denken. Er muss Patriotismus propagieren, bescheiden und achtbar sein. Auch Drogenkonsum ist ihm verboten. Der Tempelritter muss ein Vorbild an Ritterlichkeit sein und stets nach der Wahrheit streben, denn Gott ist die Wahrheit. Wer Verrat übt oder das Gesetz des Schweigens verletzt, wird mit dem Tod
bestraft. Seine Familie erleidet dasselbe Schicksal, und sein gesamtes Vermögen wird konfisziert.
Das ist die Parodie einer Moral, in deren Namen eine noch sehr junge und aggressive Gruppe agiert. Sie bekämpft das ursprüngliche, nunmehr jedoch geschwächte Kartell, um sich dessen Territorien zu bemächtigen, immer mit Blick auf die angrenzenden Bundesstaaten. Ihre Mitglieder wagen es sogar, den Zetas den Krieg zu erklären. Wie der mittelalterliche Ritterorden, der nach dem Ersten Kreuzzug in Jerusalem gegründet wurde, um die Pilger im Heiligen Land zu beschützen, glauben auch diese neuen Tempelritter an eine göttliche Mission. Wer von dem Gremium erfahrener Brüder in den Orden kooptiert wird, muss dessen »Anliegen« verteidigen. Dazu verpflichtet ihn sein Gelübde, auch um den Preis des eigenen Lebens. In ihren Zeremonien kleiden sie sich wie die Tempelritter: mit Helm und weißem Mantel mit einem roten Kreuz auf der Brust. Auf dem Land verteilen sie ein Handbuch mit ihren Prinzipien, deren Hauptziel es sei, »die Bewohner des freien, souveränen und weltlichen Staates Michoacan zu beschützen«. Nach außen gibt sich das Kartell als reinigende Kraft, in Wirklichkeit unterhält es eine Armee, um sich im AmphetaminGeschäft durchzusetzen. Es ist gut aufgestellt und hat keine Angst, den Behörden offen entgegenzutreten.
Blut kann nur mit Blut gesühnt werden. Das ist nicht nur eine Redensart. Die Geschichte der mexikanischen Kartelle zeigt, dass alle Versuche, Gewalt mit neuer Gewalt zu bekämpfen, nur noch mehr Menschen den Tod gebracht haben.
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