ZeroZeroZero: Wie Kokain die Welt beherrscht
Sinaloa-Kartell hingegen greift nur dann zur Gewalt, wenn es ihm nützt. Es ist ein Kampf zwischen Postmoderne und
Moderne, zwischen Spektakel und Schweigen. Die Spielregeln haben sich geändert. Die Zahl der Akteure ist gestiegen. Sie vervielfachen sich rasend schnell und ziehen Territorien und ganze Regionen in den Strudel der Gewalt. Es ist der Wahnsinn der neuen Kartelle. Flexiblere Strukturen, raschere Abwicklung, Beherrschung modernster Technologien, öffentliche Inszenierung von Massakern und eine obskure, pseudoreligiöse Philosophie: ein Delirium der Gewalt, das alles Bisherige in den Schatten stellt.
Ein Wohnviertel in Cancun. Ein Kleintransporter, der seit ein paar Tagen in einer Straße abgestellt ist, kommt den Bewohnern so verdächtig vor, dass sie die Polizei rufen. »Es stinkt nach verwestem Fleisch.« Als die Beamten die Hecktür öffnen, finden sie drei Leichen, in Handschellen und mit Plastiktüten überm Kopf. Und einen Brief: »Wir sind die neue Gruppe Mata Zetas, Gegner von Entführung und Erpressung. Wir werden in allen Bundesstaaten für ein saubereres Mexiko kämpfen.« Unterzeichnet: »Kartell Jalisco Nueva Generation (Los Mata Zetas)«. Erst viel später stellte sich heraus, dass die drei Toten vor ihrer Ermordung beim Verhör durch vermummte Männer mit Sturmgewehren auf Video aufgenommen worden waren. Das Video konnte man auf Youtube anschauen. So präsentiert sich das Kartell Jalisco Nueva Generacion, Los Mata Zetas, die Zeta-Mörder. Das jüngste Kartell.
Am 29. Juli 2010 stirbt der Anführer des Sinaloa-Kartells, Ig-nacio Coronel Villarreal, Verbündeter von El Chapo und Onkel von Emma Coronel, El Chapos derzeitiger Ehefrau. Er wird bei einer Schießerei mit der mexikanischen Armee in Zapopan, Bundesstaat Jalisco, getötet. Seine Gefolgsleute vermuten, dass er von seinem eigenen Kartell verraten wurde, und beschließen, sich von diesem zu trennen und ein neues aufzubauen. Zu den
Gründern von Jalisco Nueva Generacion gehören Nemesio Oseguera Ramos, genannt »El Mencho«, Erick Valencia, »El 85«, und Martin Arzola, »El 53«: alles ehemalige Mitglieder des Milenio-Kartells, einer Abspaltung von Sinaloa. Es beginnt ein Reigen der Bündnisse und Zerwürfnisse. Anfang 2011 beschließt das Kartell Jalisco Nueva Generacion, sich der Hauptstadt des Bundesstaats Jalisco, Guadalajara, zu bemächtigen. Alle gegen alle. Doch wenige Monate später verbündet es sich erneut mit dem Sinaloa-Kartell. Jetzt kämpfen sie gemeinsam gegen die Zetas um die Kontrolle von Guadalajara und Veracruz, sind aber auch in den Bundesstaaten Colima, Guanajuato, Nayarit und Michoacan aktiv. El Chapo spannt die Leute von Jalisco Nueva Generacion ein, um die Zellen der Zetas zu zerschlagen, die in seinen Territorien operieren. Sie betrachten sich als »gerechte Gruppe«, die das von den Zetas verkörperte Böse bekämpft.
Zwischen den Zetas und Jalisco tobt ein offener Kampf. Am 20. September 2011 werden in zwei Lkws in der Innenstadt von Veracruz fünfunddreißig Leichen gefunden, dreiundzwanzig Männer und zwölf Frauen. Sie tragen Folterspuren und sind an den Händen gefesselt, einige haben Plastiktüten über dem Kopf. Alle sind Mitglieder der Zetas. In einer nach dem Massaker im Internet verbreiteten Videobotschaft sitzen fünf mit Sturmmasken vermummte Männer an einem weiß gedeckten Tisch. Vor ihnen stehen kleine Wasserflaschen wie bei einer Pressekonferenz. Und es ist tatsächlich eine Pressekonferenz mit dem Bekenntnis zu dem Verbrechen: »Die Streitkräfte müssen uns glauben, wenn wir sagen, dass unser einziges Ziel die Vernichtung der Zetas ist. Wir sind anonyme, gesichtslose Krieger, aber stolze Mexikaner.« Wenige Tage später werden in drei Privathäusern in Boca del Rio, Bundesstaat Veracruz,
sechsunddreißig Leichen gefunden. Am 24. November, wenige Tage nach Eröffnung der internationalen Buchmesse Mexikos, entdeckt die Polizei in drei Kleinlastern in Guadalajara die Leichen von sechsundzwanzig Personen. Erstickt und mit sichtbaren Schädelverletzungen. Am 22. Dezember werden in den frühen Morgenstunden auf der Autobahn 105 nach Veracruz drei öffentliche Busse von Drogenhändlern angegriffen. Die Bilanz: sechzehn Tote, unter ihnen drei amerikanische Staatsbürger aus Texas, die ihre Weihnachtsferien in Mexiko verbringen wollten. Einen Tag später werden in Tampico Alto, Bundesstaat Veracruz, zehn Leichen gefunden: gefoltert, in Handschellen, fast alle ohne Kopf. Auch am ersten
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