Zersetzt - Thriller (German Edition)
Rose. Ein Romantiker.
Das Kratzen seines Messers, das er über das krosse Toastbrot gleiten ließ, um Butter zu verteilen, nahm Julia in hundertfacher Lautstärke wahr. Es bohrte sich in ihr Trommelfell und zerrte an ihren Nerven.
»Ich muss mal kurz ins Bad«, stammelte sie benommen, stand auf und hielt einen kurzen Moment inne, damit sich ihr Kreislauf auf die neue Position ihres Körpers einstellen konnte.
Nachdem die dritte Ladung kalten Wassers in Julias Gesicht gelandet war, blickte sie in den Spiegel. Die langen Haare hingen zerzaust herunter. Dunkle Ringe hatten sich unter ihren glasigen Augen gebildet. Die Bindehaut war gerötet. Sie kämmte die Haare und putzte sich die Zähne. In Gedanken ging sie all die Geschehnisse noch einmal durch, die in ihrer Wohnung passiert waren, und plötzlich kam ihr eine Erinnerung, die ihr im gleichen Moment einen Schlag in die Magengrube versetzte – Schwester Kati! Heute ist Donnerstag und sie wollte sich mit mir treffen . Der Blick auf ihre Armbanduhr verriet, dass sie noch eine Stunde Zeit hatte bis zum verabredeten Termin.
»Du bist noch nicht so weit, ich kann dich unmöglich in die Redaktion fahren lassen.« Natürlich konnte Julia Robert nichts von Schwester Kati erzählen, sie arbeiteten im gleichen Krankenhaus und Robert war einer ihrer Vorgesetzten. Auf die Schnelle war ihr allerdings nichts Besseres eingefallen als die Zeitung.
»Ich muss nur schnell etwas abholen und bin dann gleich wieder da.«
Robert baute sich vor ihr auf.
»Nein, als dein behandelnder Arzt und Freund verbiete ich es dir. Sag mir, was du brauchst, und ich fahre für dich in die Redaktion. Du legst dich wieder hin.«
Einer der drei Bauarbeiter in Julias Kopf warf eine neue und noch effektivere Maschine an.
»Gut, dann telefoniere ich mit Felix, er regelt das.«
Nach dem Telefonat legte sich Julia wieder aufs Bett und nahm die Aspirin, die Robert ihr anbot, gerne entgegen.
»Du musst unbedingt die Polizei verständigen und den Einbruch in deine Wohnung anzeigen.«
»Die halten mich doch für vollkommen verrückt. Es ist ja nichts entwendet worden.« Und wenn sie dann noch erfahren, dass ich Psychopharmaka einnehme…
»Denk nochmal drüber nach. Ich komme auch gern mit auf die Polizeiwache, wenn du das möchtest. Ach ja, mir ist da noch etwas eingefallen, was für deine Recherchen eventuell nützlich sein könnte.« Robert legte sich zu Julia und nahm sie in den Arm. »Es gibt einen Patientenbeauftragen der Bundesregierung, den würde ich mal aufsuchen. Aber nicht als Journalistin, sondern als besorgte Tochter. Er ist Ansprechpartner für alle Bürger in medizinischen Belangen.« Julia löste sich kurz aus Roberts Umklammerung und nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas, das auf dem Nachttisch neben dem Queensize-Bett stand.
»Gute Idee, danke für den Tipp.« Mit einem unguten Gefühl, den Presslufthämmern in ihrem Kopf und wirren Gedanken, wollte und konnte sie sich nicht weiter mit ihm unterhalten und schlief erschöpft ein.
Julia konnte nur noch den Geruch seines betörenden Aftershaves wahrnehmen, der im Schlafzimmer wie ein feiner Nebel in der Luft lag, aber das Bett neben ihr war leer.
»Robert?« Nur mit einem langen, weißen Männer T-Shirt bekleidet – ich sollte langsam den Designer wechseln – öffnete sie die Tür des Schlafzimmers, das sich im ersten Stock der Villa befand.
»Robert?« Keine Antwort. Bei dem benachbarten Zimmer, das Julia auf der Suche nach ihm öffnete, musste es sich um ein Gästezimmer handeln, denn außer einem Einzelbett, einem passenden Nachttisch, Kleiderschrank und einer antiken Kommode, war nichts zu entdecken. Die oberste Schublade der Kommode stand einen Spalt weit offen und eine Ecke Papier blinzelte hervor. Ihre Neugierde siegte und sie stapfte barfuß ihrem Ziel entgegen. Zu dem Stück Papier gehörte ein dickes, vergilbtes Fotoalbum. Die Lade klemmte und ließ sich nur schwer öffnen. Die ersten Bilder zeigten ein Paar, das sich liebevoll an sein Baby schmiegte. Julia blätterte Seite für Seite um und sah sich die Gesichter ganz genau an, doch diese Personen tauchten auf keinen weiteren Fotos auf. Alle weiteren Abbildungen zeigten eine andere kleine Familie: Mann, Frau, ein dunkelhaariger Junge und ein rotblondes Mädchen mit Zöpfen und Sommersprossen. Nur ein Foto ganz am Ende war mit »Onkel Karl-Heinz« beschriftet. Der kommt mir bekannt vor, aber ich kann mich auch täuschen. Eigentlich weiß ich gar
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