Zersetzt - Thriller (German Edition)
nichts von Robert, seiner Familie und seinem bisherigen Leben.
Ihre Verwunderung war groß, als sie das Chaos im nächsten Zimmer sah. Ein Raum, der so gar nicht zu dem Rest des penibel sauberen Hauses passte. Auf der Fensterbank stand eine vertrocknete Pflanze. Neben dem Papierkorb, der das Fassungsvermögen an Schnipseln und zerknüllten Blättern überschritten hatte, setzte sich der Papiertumult auf dem Boden fort. Selbst Julia als Anti-Putzteufel irritierte diese Unordnung. Um sich für den Beruf des Journalisten zu entscheiden, bedurfte es etwas, was man nicht erlernen konnte – Neugierde – eine Neugierde, die sich über Angst, Verbote, persönliche Gefühle und Stress hinwegsetzte. Das pflegte zumindest Julias Dozentin zu sagen.
Auf dem gewaltigen, mit Aktenbergen überfüllten Eiche-rustikal-Schreibtisch blätterte sie in Kopien von Krankenakten, neuen Operationsmethoden und Berichten, Seminarunterlagen und Fortbildungsmaßnahmen. Krankenakten? OP-Berichte? Warum nimmt ein Arzt diese Unterlagen mit nach Hause? Unter dem nächsten Stapel blitze ein Briefkopf hervor, der ihr sehr bekannt vorkam. Firma Prothes.
Genau in dem Moment, als Julia sich das Schreiben näher ansehen wollte, hörte sie von draußen einen Schlüssel, der ins Schloss gesteckt wurde. Wie ein kleines Kind, das bei etwas Verbotenem erwischt wurde, zuckte sie zusammen, legte alle Stapel wieder genau so unordentlich hin, schlich auf Zehenspitzen zur Tür …
»Julia?«
... huschte über den Flur ins Schlafzimmer und sprang mit einem Satz ins Bett zurück. Fünf Sekunden später stand Robert in der Tür.
Kapitel 9
» S -S-Sie war nicht beim verabredeten Treffpunkt. Auch telefonisch konnte ich sie nicht erreichen.« Felix stand kopfschüttelnd neben Julia. Der Barkeeper beugte sich über die Theke und reichte ihnen die bestellten Drinks. Die Musik der alten Bluesband, die über den CD-Player dröhnte, war so laut, dass Julia kaum ein Wort verstehen konnte.
»Das gibt es doch nicht, die Informationen schienen sehr wichtig zu sein. Hast du es auch im Krankenhaus versucht?« Felix rückte näher, denn auch er musste sich bei der Lautstärke, die in der kleinen Kellerbar aus den Boxen hallte, anstrengen, etwas zu verstehen.
»Kati hat ein paar Tage Urlaub eingereicht, war die Auskunft ihrer Kollegin.« Felix bewegte seine Füße und den Kopf im Takt. Er prostete Julia zu und trank einen Schluck von seinem Cocktail.
»Sex on the Beach, man s-s-soll es nicht glauben, aber dieses Wort kann ich ohne zu s-s-stottern aussprechen.«
Julia stupste ihn freundschaftlich in die Rippen. »Klar, Wodka macht die Zunge locker.« Sie konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Nach ein paar Tagen Ruhe, die sich Julia bei Robert hatte gönnen dürfen, musste auch sie wieder zurück in ihr altes Leben und in ihre Wohnung, bei der zur Sicherheit das Schloss ausgetauscht worden war. Julia hatte dem ersten Treffen mit Felix entgegengefiebert und fühlte sich – bis auf die Lautstärke – wohl an diesem Ort, den er für das Treffen ausgesucht hatte.
»Das kommt mir sehr komisch vor. Mmmh … wenn Kati nicht ans Telefon geht, sollten wir sie in ihrer Wohnung aufsuchen, laut Stadtplan ist die nur ein paar Straßen weiter.«
Julia ging davon aus, dass Anfang September der Sommer nicht ganz verloren und der Herbst noch keinen Einzug gehalten hatte. Doch an diesem Abend war durch den feuchten Nebel, der sich über die Häuser und Straßen zog, die dritte Jahreszeit ganz nah. Julia hatte nur eine dünne Strickjacke über ihr T-Shirt gezogen. Gänsehaut machte sich erst über ihren Rücken, den Kopf und dann auf ihren Armen breit. Sie verschränkte diese um ihren Oberkörper und rieb mit den Händen – auch wenn sie damit keine Aussicht auf Besserung hatte – ihre Oberarme. Felix nahm seinen Fotoapparat aus der Tasche, zog die Jacke aus und legte sie Julia um die Schultern, dann knipste er los.
»Die Kamera muss immer mit, man kann ja nie wissen, wann m-m-man den besten S-S-Schuss vor die Linse bekommt.«
Die kleinen nebelumhüllten Straßen und die Hausfassaden, die nur teilweise beleuchtet waren, wurden abgelichtet. Er knipste auch Julia immer wieder in den unterschiedlichsten Posen.
»Felix, du hast einen Knall«, lachte Julia.
»Klar wer wäre denn s-s-sonst so verrückt diesen S-S-Scheiß mit dir durchzustehen.«
Nur eine kleine gedämpfte Laterne spendete etwas Licht im Hinterhof des Altbaus, den sie durch eine große
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