Zersetzt - Thriller (German Edition)
Villen jenseits des Parkplatzes zu ihnen herüberfielen, konnten sie nicht viel erkennen. Nur ein leises immer wiederkehrendes Plätschern verriet, dass sie ganz nah am Seeufer waren.
»Kannst du jemanden sehen?«, fragte Julia. Felix bückte sich und hob einen Stock auf.
»Nein, ich kann auch nicht viel s-s-sehen.« Der Waldweg wurde immer schlammiger. In der Ferne waren Stimmen zu vernehmen. Verstehen konnten sie nichts, doch sie beschleunigten ihre Schritte und gingen jetzt genau in diese Richtung. Felix griff nach einem zweiten Stock und drückte ihn Julia in die Hand.
»Hallo, wer ist da?«, rief Felix in die Dunkelheit. Keine Antwort. Julia konnte die Umrisse von zwei Gestalten erkennen. Das sind Frauenstimmen, Kati? Im selben Augenblick, als Julia einen Schritt weiter auf sie zu gehen wollte, spürte sie einen Schlag in seitlicher Bauchhöhe und knickte ein.
Ein nasses, raues Etwas schleckte ihr Gesicht ab und hechelte seinen unangenehmen Mundgeruch in ihre Nase.
»Guter Junge«, lachte Felix und tätschelte den bärigen Berner Sennenhund.
»Oh, entschuldigen Sie bitte, aber er liebt Stöcke und wollte bestimmt nur mit Ihnen spielen«, rechtfertigte die Hundebesitzerin das Verhalten ihres Schützlings. Julia schüttelte den Kopf, kraulte nach dem ersten Schreck den "kleinen Kerl" und verabschiedete sich von den Spaziergängern.
»Netter Hund - und so zutraulich«, scherzte Felix und ging den immer glitschiger werdenden Weg weiter.
»Lass uns umdrehen, wir können nichts mehr sehen, und wenn sich Kati hier mit jemandem getroffen hat, dann sind wir zu spät.« Plötzlich hörten sie einen dumpfen Schlag und ein darauffolgendes Platschen.
»Das war bestimmt der Hund, der noch mal ein nächtliches Bad nehmen m-m-möchte«, war die Erklärung von Felix.
»Quatsch, das kommt doch aus einer vollkommen anderen Richtung.«
Da sie sich auf ihre Augen nicht verlassen konnte, musste sich Julia auf ihre anderen Sinne konzentrieren. Für einige Sekunden standen sie still da und lauschten in das Dunkel der Nacht – nichts. Äste knackten unter sich laut fortbewegenden Schritten. Julia drehte sich um ihre eigene Achse, doch von wem diese Geräusche ausgingen, konnte sie nicht erkennen.
»Da – im Wasser bewegt sich etwas – Scheiße, ich kann nicht s-s-s-schwimmen«, bedauerte Felix aufgeregt. Ohne zu zögern, rannte Julia zum Ufer und stapfte in voller Bekleidung in den See.
»Ja, du hast recht, da ist etwas«, rief Julia. Als das dunkle, kalte Nass sie komplett umhüllte, sah sie in einigen Metern Entfernung etwas auf dem Wasser treiben, das in der nächsten Sekunde unterging. Ihre Schuhe hatten sich mit dem Seewasser vollgesogen und ihre Kleidung, die immer schwerer wurde, drohte, sie in die Tiefe zu ziehen. Sie holte einige Male Luft und tauchte in die dunkle Brühe. Die Zeit beim DLRG lag zwar schon einige Jahre zurück, doch sie hoffte, dass man wie beim Fahrradfahren auch hier die Techniken nicht verlernen würde. Die Kälte bohrte sich in ihre Haut und stach wie spitze Nadeln bis in ihr Innerstes. Die Temperaturdifferenz war so groß, dass Julias Körper nach einer erhöhten Atemfrequenz verlangte. Sie japste und schluckte dabei einen Schwall Wasser, den sie sogleich wieder aushustete.
»Ich rufe den Rettungswagen, komm wieder raus!« Den Satz von Felix bekam Julia nur am Rande mit. Bis die Rettungskräfte hier eintreffen, ist es zu spät – falls sich hier überhaupt ein Mensch befindet. Die Orientierung hatte Julia bereits verloren, dennoch tauchte sie wieder und wieder und suchte mit ihren Händen den sandigen Grund ab. Wie lange kann ein Mensch die Luft anhalten? Eine Minute oder zwei? Einem Apnoe-Taucher gelang es, bis zu zwanzig Minuten unter Wasser zu bleiben. Allerdings konnte sie nicht davon ausgehen, dass sich die Person – falls es eine Person war – mit dieser Technik auseinandergesetzt hatte. Das Gefühl für Zeit hatte Julia vollkommen verloren. Waren zwei Minuten oder erst 30 Sekunden vergangen, seit sie mit den Rettungsversuchen begonnen hatte?
Etwas Helles schimmerte durch die Dunkelheit, ganz schwach und kaum zu erkennen. Julia tauchte ein Stück weiter darauf zu. Eine gespenstische Berührung, wie von Schilf, Seetang – oder Haaren? – ließen Julias Hand zurückzucken, dabei streifte sie etwas wie ein Stück Stoff – eine Jacke? Julia streckte nochmals ihre Hand aus, und im gleichen Augenblick schubste die Strömung ein blasses, lebloses Gesicht direkt vor ihre
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