Zersetzt - Thriller (German Edition)
Augen. Julia wollte schreien und riss den Mund auf. Sie schwamm an die Wasseroberfläche und rang nach Luft. Kati. Julia atmete ein paar mal tief ein und wieder aus, hielt die Luft an und tauchte hinab.
Katis Arme und Beine hingen leblos in dem dunklen Gewässer. Julia griff nach ihrem Jackenärmel und versuchte, sie an die Oberfläche zu ziehen. Kati, die in voller Montur ein Stück unter Julia schwebte, fühlte sich an wie ein schwerer, mit Steinen befüllter Sack. Mit aller Kraft zerrte Julia an ihrem Arm, doch sie bewegte sich nicht. Nach nochmaligem Luftschnappen tauchte sie an Katis schwerelosem Leib nach unten und sah die Wurzel, in deren Ausläufer sich Katis Beine verfangen hatten. Julias Kopf drohte durch den sich aufbauenden Druck zu platzen. Die Hände waren so kalt, dass sie kaum noch etwas spüren konnte. Sie fühlten sich an wie schwere unbewegliche Klumpen, und so konnte sie jeden Griff an die Wurzel nur noch instinktiv ausführen.
Ob Kati noch ein Lebenszeichen von sich geben würde, wenn Julia sie endlich aus dem See gerettet hätte, wusste sie nicht. Ob Julia selbst Schäden davon tragen würde, konnte sie auch nicht beantworten. Aber der Wille, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun würde, um Kati zu retten, gab ihr die Kraft, weiter zu machen. Wieder und wieder griff sie nach der Wurzel, zog und rüttelte an ihr, bis sie Katis Beine befreien konnte. Der Körper hing in diesem Augenblick wie Tonnen an Julia. Ihre Lungen drohten zu explodieren, und so ließ sie nach und nach die angestaute Luft ab, die in kleinen Bläschen an die Oberfläche kullerten. Ihr wurde schwarz vor Augen, und kurz bevor sie selbst in eine Art Dämmerzustand überging, erreichte sie mit der Krankenschwester in ihren Armen die rettende Wasseroberfläche.
Felix kam ihnen im flachen Wasser entgegen und nahm Julia den leblosen Körper ab. Er drehte Kati auf den Rücken und tastete den Puls.
»Scheiße, ganz schwach.«
Julia griff nach Katis Armen, streckte diese über Katis Kopf und beugte sie mit Druck wieder nach unten auf ihren Brustkorb. Mehrmals wiederholte sie diese Übung.
»Nicht aufgeben«, schrie Julia aufgeregt. Kati spuckte einen großen Schwall Wasser aus. Sie öffnete die Augen und sah Julia an, dann fiel ihr Kopf zur Seite und es sah so aus, als würde der gerade zurückgekehrte Hauch von Leben aus ihrem Körper wieder entschwinden.
Der Sanitäter legte auf die Rettungsdecke noch eine wärmere Wolldecke und drückte Julia eine heiße Tasse Tee in die Hand. Ein großer, breitschultriger Mann trat vor sie.
»Polizeihauptmeister Peter Schönburg. Von Ihrem Freund habe ich ja schon einiges erfahren, aber Ihre Aussage brauche ich auch noch, Frau Hoven.« In seinem Gesicht war keine Regung zu erkennen, einzig der Vollbart, dessen spitze Enden am Schnauzer in langen Kreisen gedreht waren, wippte bei jedem gesprochenen Wort nach. Der Notarzt kam mit schnellen Schritten auf sie zu und mischte sich dem Polizeihauptmeister zugewandt ein:
»Die Frau muss zuerst mit ins Krankenhaus.«
»Natürlich, ich muss auch nur einige kleine Details wissen. Die komplette Aussage kann Frau Hoven dann nach ihrem Krankenhausaufenthalt auf dem Revier zu Protokoll geben«, erwiderte der uniformierte Bartträger.
Felix, der neben Julia im Rettungswagen auf der Trage saß, legte seinen Arm um sie und versuchte, durch Reibung Wärme zu erzeugen.
»Warum kannst du denn nicht schwimmen?«, fragte Julia.
»Das ist eine lange Geschichte. Mein Vater dachte, er m-m-müsse mich nur ins Wasser schubsen. So hatte mein Großvater ihm das Schwimmen beigebracht. Ich ging unter und schluckte sehr viel Wasser, bis er mich wieder rausfischte. Seit diesem S-S-Schock, den ich als Fünfjähriger erlebt habe, s-s-stottere ich.« Julia streichelte über seine Hand und sah ihn verständnisvoll an. Dann wandte sie sich zu dem jungen Notarzt.
»Wie geht es Kati Schröder?«
»Sie haben gute Arbeit geleistet, das war knapp. Sie hat eine schwere Kopfverletzung, ist nicht bei Bewusstsein und auf dem Weg ins Krankenhaus, und dort sollten Sie jetzt auch hin.«
»Danke. Ich beantworte noch schnell die Fragen von Herrn Schönburg und fahre dann mit ins Krankenhaus.«
***
Das kühle Neonlicht und die karge Einrichtung, die nur aus drei abgenutzten, einfachen Holzstühlen und einem passenden Tisch bestand, ließen keine behagliche Stimmung aufkommen. Schon nach einer Nacht hatte Julia das Krankenhaus wieder verlassen dürfen
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